Das Dekameron
zurückkehren kannst, nicht etwa den Weg, auf dem du hierher kamst, sondern verlasse das Gehölz auf dem Pfad, den du zur Linken hinausführen siehst; denn er ist, wiewohl ein wenig rauh, doch deiner Heimat näher und für dich sicherer.«
Nachdem Mithridanes diese Anweisung empfangen hatte und Nathan von ihm geschieden war, ließ er seine Begleiter, die gleichfalls dort in der Gegend waren, vorsichtig wissen, wo sie ihn am folgenden Tag erwarten sollten. Als der neue Tag erschienen war, ging Nathan, dessen Entschluß sich von dem Rat, den er dem Mithridanes gegeben, in keiner Weise unterschied und der diesen seither keineswegs geändert hatte, ganz allein nach dem Haine, um dort zu sterben. Mithridanes erhob sich, ergriff seinen Bogen und sein Schwert, da er keine andere Waffe hatte, stieg zu Pferde und begab sich nach dem Gehölz, in welchem er schon von ferne den Nathan ganz allein lustwandeln sah. Entschlossen, ihn zu sehen und reden zu hören, ehe er ihn angriffe, eilte er auf ihn zu, packte ihn bei der Stirnbinde, die er auf dem Kopfe trug, und rief: »Alter, du bist des Todes!« Hierauf entgegnete Nathan nur: »So habe ich es also verdient.«
Als Mithridanes die Stimme hörte und ihm ins Gesicht blickte, erkannte er ihn sogleich als den wieder, der ihn so wohlwollend aufgenommen, ihm so traulich Gesellschaft geleistet und so treu geraten hatte. Augenblicklich verschwand nun seine Wut, und sein Zorn verwandelte sich in Scham. Schnell warf er daher das Schwert weg, das er schon zum Todesstreich entblößt hatte, stieg vom Pferde, eilte weinend zu Nathans Füßen und rief: »Jetzt, teuerster Vater, erkenne ich deutlich Eure unerreichbare Freigebigkeit, wenn ich betrachte, mit welcher Vorsicht Ihr hierhergekommen seid, um mir selbst Euer Leben zu geben, wonach ich ohne jeden Grund Verlangen trug, wie ich Euch selbst entdeckte. Doch Gott, der um meine Pflicht besorgter war als ich selbst, hat mir im Augenblick, wo ich es am dringendsten brauchte, die Augen des Verstandes geöffnet, die mir ein elender Neid geschlossen hatte. Deshalb erkenne ich mich denn im selben Maße, wie Ihr bereit gewesen sein, mir zu willfahren, zur Buße meines Irrtums verpflichtet. Nehmt daher an mir die Rache, die Ihr meiner Schuld angemessen erachtet.«
Nathan hieß den Mithridanes sich erheben, umarmte und küßte ihn zärtlich und sprach zu ihm: »Mein Sohn, dein Beginnen, ob du es nun böse oder anders nennen wolltest, bedarf weder der Bitte um Vergebung noch dieser selbst, da du nicht aus Haß, sondern nur um für besser zu gelten ihm gefolgt bist. Sei also von meinetwegen sicher, und sei gewiß, daß kein anderer lebt, der dich so liebt wie ich, da ich die Größe deiner Seele erkenne, die nicht, wie der Geiz tut, Geld aufzuhäufen, sondern das Gesammelte freigebig zu verwenden dich antrieb. Und schäme dich nicht, weil du mich töten wolltest, um berühmt zu werden, noch glaube, daß ich mich darüber wundere. Die erhabensten Kaiser und die größten Könige haben fast alle mit nichts anderem als mit der Kunst des Tötens, und zwar nicht nur eines Menschen, wie du wolltest, sondern unzähliger, und mit dem Verbrennen von Städten und dem Einäschern von Ländern ihre Reiche und dadurch ihren Ruhm erweitert. Deshalb, wenn du mich allein töten wolltest, um dadurch berühmter zu werden, hättest du weder etwas Wunderbares noch etwas Neues, sondern nur etwas sehr Gewöhnliches getan.«
Mithridanes, der seine schnöde Absicht keineswegs entschuldigte, sondern nur die ehrenhafte Entschuldigung lobte, die Nathan dafür gefunden hatte, kam im Gespräch mit ihm endlich darauf, zu sagen, wie er sich über die Maßen wundere, daß Nathan sich dazu habe entschließen und ihm selbst noch Mittel und Rat dazu habe angeben können. Hierauf entgegnete Nathan: »Mithridanes, du darfst dich über meinen Rat und meinen Vorsatz nicht verwundern; denn seitdem ich mein eigener Herr geworden war und mich entschlossen hatte, dasselbe zu tun, was auch du dir vorgenommen, hat niemals jemand mein Haus betreten, den ich nicht nach Kräften in dem zu befriedigen gestrebt habe, was er von mir forderte. Du betratest es, nach meinem Leben verlangend. Und da ich selbst dich dies fordern hörte, entschloß ich mich schnell, es dir zu geben, damit nicht du der einzige wärest, der ohne Befriedigung seines Verlangens von hier schiede. Damit du es nun erhieltest, gab ich dir den Rat, den ich dir für nützlich hielt, um mein Leben zu bekommen und das deinige nicht
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