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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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großmütigen Handlungen, wenn anders wahr ist, daß man Schätze hingibt, Feindschaften vergißt, das eigene Leben, ja die Ehre und den guten Ruf tausend Gefahren aussetzt, um nur den geliebten Gegenstand besitzen zu können.
    Es lebte also in Bologna, einer sehr ansehnlichen Stadt der Lombardei, ein junger Ritter, gleich ausgezeichnet durch Tugend und Adel des Blutes, der Herr Gentile Carisendi genannt ward. Dieser war in eine edle Dame namens Madonna Catalina, die Gemahlin eines gewissen Niccoluccio Caccianimico, verliebt. Weil es aber mit der Liebe der Dame zu ihm übel stand, so ging er, als man ihn zum Podesta nach Modena berief, fast hoffnungslos dorthin.
    In dieser Zeit nun, während Niccoluccio gerade nicht in Bologna weilte, begab sich seine Frau, die guter Hoffnung war, auf eine ihrer Besitzungen, etwa drei Meilen vor der Stadt. Und hier geschah es, daß sie plötzlich von einer schweren Ohnmacht überfallen wurde, die von solcher Gewalt war, daß jedes Zeichen des Lebens in ihr verlöschte und sie deshalb auch von einem Arzte für tot erklärt wurde. Weil ihre nächsten Verwandten von ihr vernommen zu haben behaupteten, sie sei noch nicht so lange schwanger, daß das Kindlein zur Reife gediehen sein könne, so setzte man sie, so wie sie war, in einem Grabgewölbe der nahen Kirche unter vielen Tränen bei.
    All dies wurde sofort dem Herrn Gentile von einem seiner Freunde gemeldet, und so karg sie auch gegen ihn mit ihrer Gunst gewesen war, so schmerzte ihr Tod ihn doch sehr. Endlich sprach er zu sich selbst: »Siehe, nun bist du gestorben, Madonna Catalina. Solange du lebtest, konnte ich nie einen einzigen Blick von dir erlangen. Darum will ich dir jetzt, wo du dich nicht mehr verteidigen kannst, tot wie du bist, fürwahr noch einige Küsse rauben.«
     
    Nach diesen Worten gab er, da es schon Nacht war, den nötigen Befehl, daß seine Abreise verschwiegen bleibe, stieg dann mit einem seiner Diener zu Pferd und gelangte ohne Aufenthalt dahin, wo seine Dame beigesetzt war. Hier ließ er das Grabmal öffnen, stieg vorsichtig hinab, legte sich der Toten zur Seite, näherte sein Gesicht dem der Dame und küßte es mehrere Male unter vielen Tränen. Wie wir aber wissen, vermag das Begehren der Menschen, und zumal das der Liebenden, bei keinem Ziele still zu stehen, es verlangt immer nach mehr. Und so sprach auch Gentile, als er schon beschlossen hatte, hier nicht länger zu verweilen: »Warum sollte ich, da ich doch hier bin, ihr nicht ein wenig die Brust berühren? Ich soll sie ja nie mehr anrühren und habe sie nie angerührt.« Besiegt von dieser Begierde, legte er seine Hand auf ihren Busen, und indem er sie eine Zeitlang dort hielt, dünkte es ihn, als fühle er das Herz darin ganz leise schlagen. Nachdem er jede Furcht von sich gescheucht hatte, untersuchte er dies mit größerer Aufmerksamkeit und fand, sie sei gewiß nicht tot, wie schwach und gering auch der Lebenshauch in ihr sein mochte. So hob er sie denn, so leise er nur konnte, mit dem Beistand des Dieners aus der Gruft, nahm sie vor sich auf sein Pferd und brachte sie solcherart heimlich in sein Haus nach Bologna.
    Hier befand sich seine Mutter, eine würdige und verständige Dame, die, nachdem sie von ihrem Sohn alles ausführlich gehört hatte, von Mitgefühl bewegt, still mit starkem Feuer und einem passenden Bade das fliehende Leben in sie zurückrief. Als sie wieder zu sich kam, stieß sie erst einen tiefen Seufzer aus und rief dann: »O Gott, wo bin ich?« Die wackere Dame antwortete ihr hierauf: »Fasse Mut, du bist an einem guten Orte.«
    Als sie nun völlig zu sich gekommen war, blickte sie umher, und da sie nicht erkannte, wo sie war, wohl aber Herrn Gentile vor sich sah, bat sie voller Erstaunen seine Mutter, ihr zu sagen, auf welche Weise sie hierher gekommen sei. Nun erzählte Herr Gentile ihr alles der Reihe nach. Schmerzlich betrübt hierüber, sagte sie ihm den besten Dank, den sie nur wußte, und beschwor ihn sodann bei der Liebe, die er sonst zu ihr gehegt habe, und bei seiner Ritterlichkeit, daß ihr in seinem Hause nichts widerführe, was die Ehre ihres Gatten oder ihre eigene Ehre beeinträchtigen könnte, und daß er sie, sobald der Tag erschienen sei, in ihr eigenes Haus zurückkehren lassen möchte.
    »Madonna«, antwortete hierauf Herr Gentile, »da Gott um der Liebe willen, die ich bis zu diesem Augenblick für Euch fühlte, mir die Gnade erwiesen hat, Euch mir aus dem Tode dem Leben wiederzugeben, so beabsichtige ich

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