Das Dekameron
frühere Herr kein Recht mehr auf den Diener habe, weil er ihn bei einem solchen Unfall nicht nur verlassen, sondern geradezu weggeworfen habe. Durch die Wohltaten, die der zweite Mann ihm erwiesen, scheine er ihm mit Recht dessen Eigentum geworden zu sein, weshalb denn dieser auch, wenn er ihn behalte, dem ersten keinerlei Kränkung, Gewalt oder Unrecht antue. Alle übrigen, die bei der Tafel zugegen waren - und es waren treffliche Männer darunter -, sagten einstimmig, auch sie hielten das, was Niccoluccio geantwortet habe, für recht.
Zufrieden mit der Antwort und damit, daß gerade Niccoluccio sie gegeben hatte, versicherte der Ritter, auch er sei dieser Meinung, und fuhr dann fort: »Doch jetzt ist es Zeit, daß ich euch meinem Versprechen gemäß ehre.« Nun rief er zwei seiner Diener herbei, schickte zu der Dame, die er köstlich hatte kleiden und schmücken lassen, und ließ sie bitten, daß es ihr gefallen möge, zu kommen und diese edlen Herren mit ihrer Gegenwart zu erfreuen. Ihr schönes Söhnchen im Arm und von zwei Dienern begleitet, erschien sie im Saale und nahm, wie es dem Ritter gefiel, zur Seite eines würdigen Mannes ihren Sitz ein, während er sprach: »Ihr Herren, dies ist, was ich für teurer halte und immer zu halten gedenke als irgend etwas anderes. Seht nun, ob euch dünkt, daß ich recht habe.«
Die edlen Herren ehrten und priesen sie sehr und versicherten dem Ritter, eine solche Dame müsse er allerdings wert halten. Als sie aber anfingen, sie genauer zu betrachten, war mancher unter ihnen, der wohl gesagt hätte, sie wäre dieselbe, die sie wirklich war, hätten sie sie nicht alle für tot gehalten. Vor allen ändern aber schaute Niccoluccio sie an. Brennend vor Begierde zu erfahren, wer sie sei, und unfähig, sich länger zurückzuhalten, fragte er sie, als der Ritter sich etwas entfernt hatte, ob sie aus Bologna stamme oder eine Fremde sei. Als die Dame ihren Gatten so fragen hörte, enthielt sie sich nur mit Mühe der Antwort; dennoch schwieg sie, um die getroffene Abrede einzuhalten. Ein anderer der Gäste fragte sie hierauf, ob dies Knäblein das ihre sei, und ein dritter, ob sie Gentiles Frau oder auf andere Art mit ihm verwandt sei. Allen diesen gab sie jedoch keine Antwort.
Als daher Herr Gentile dazukam, sagte einer der Gäste zu ihm: »Herr, wohl ein schönes Frauenbild ist es, das Ihr da besitzt, aber es scheint stumm zu sein. Ist dem so?« »Ihr Herren«, antwortete Gentile, »daß sie bis jetzt nicht gesprochen hat, ist kein geringer Beweis ihrer Tugend.« »So sagt uns denn«, fuhr der andere fort, »wer ist sie.« »Gern will ich es tun«, antwortete der Ritter, »wenn ihr mir nur versprecht, daß, was immer ich auch sagen möge, niemand sich von der Stelle rühren wird, bis ich meine Erzählung beendet habe.« Als ihm dies jeder versprochen hatte und die Tische schon weggeräumt waren, begann Herr Gentile, an der Seite der Dame sitzend, folgendermaßen:
»Diese Dame, ihr Herren, ist jener gute und treue Diener, über den ich euch eben vorhin die Frage vorlegte. Von den Ihrigen wenig wert gehalten und wie ein geringes und unnütz gewordenes Ding auf die Straße geworfen, wurde sie von mir aufgenommen und durch meine Sorge und Hilfe dem Tode aus den Händen gerissen, und Gott, der auf meine gute Absicht blickte, ließ sie aus einem abschreckenden Leichnam wieder so schön erstehen, wie ihr sie hier sehet. Doch damit ihr klarer erkennt, wie dies alles zugegangen ist, will ich es euch in aller Kürze deutlich machen.« Und nun erzählte er, bei seiner Liebe für sie beginnend, zum großen Erstaunen seiner Zuhörer alles ausführlich, was bis dahin geschehen war. Dann fügte er hinzu: »Um dieser Gründe willen ist denn, wofern ihr nicht etwa eure Meinung seit kurzem geändert habt, und sonderlich Niccoluccio nicht, diese Dame mit Recht mein eigen, und niemand kann sie mit gerechtem Anspruch von mir zurückfordern.«
Hierauf antwortete niemand, vielmehr erwarteten alle aufmerksam, was er weiter sagen würde. Niccoluccio aber und andere, die anwesend waren, sowie auch die Dame, weinten vor Rührung. Doch nun erhob sich Herr Gentile, nahm den kleinen Knaben in seinen Arm und die Dame bei der Hand, und indem er mit ihnen zu Niccoluccio hintrat, sprach er: »Stehe auf, Gevatter, deine Frau, welche deine und ihre Verwandten wegwarfen, gebe ich dir nicht wieder, sondern schenken will ich dir diese Dame, meine Gevatterin, mit ihrem kleinen Sohne, welcher, wie ich gewiß bin, von
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