Das Dekameron
zu verlieren. Eben darum wiederhole ich dir und bitte dich auch, daß du es nimmst, wenn es dir gefällt und dich dadurch selbst zufriedenstellst; denn ich weiß nicht, wie ich es besser weggeben könnte. Ich habe es achtzig Jahre lang zu meinem Vergnügen und zu meinen Freuden gebraucht und weiß, daß dem Lauf der Natur gemäß, wie allen übrigen Menschen und überhaupt allen Dingen, es nur noch kurze Zeit mir gelassen werden kann. Darum halte ich es denn für besser, es ebenso wegzuschenken, wie ich immer meine Schätze verschenkt habe, als es so lange behalten zu wollen, bis es mir gegen meinen Willen von der Natur genommen wird. Hundert Jahre zu verschenken, ist eine kleine Gabe; wieviel geringer ist es aber, deren sechs oder acht fortzugeben, die ich etwa noch hier zu weilen hätte! Nimm es daher, wenn es dir gefällt, ich bitte dich; denn solange ich lebe, habe ich noch niemand gefunden, der es begehrt hätte, und weiß auch nicht, wann ich einen solchen finden könnte, wenn du, der danach verlangt, es nicht annehmen willst. Ja fände ich auch einen solchen, so weiß ich doch, daß sein Wert desto geringer wird, je länger ich es bewahre, und darum nimm es, ehe es noch wertloser wird, ich bitte dich darum.«
Mithridanes, tief beschämt, entgegnete: »Verhüte Gott, daß ich etwas so Köstliches, wie Euer Leben es ist, von Euch nähme oder auch nur solches begehrte, wie ich noch vor kurzem tat. Nein, weit entfernt, seine Jahre zu verringern, möchte ich gern noch von den meinigen hinzufügen.« Schnell entgegnete Nathan hierauf: »Und wenn du nun kannst, willst du mir wirklich von den deinigen hinzufügen? Willst du zulassen, daß ich mit dir verfahre, wie ich noch nie mit irgendwem sonst verfahren bin, daß ich nämlich von dem deinen nehme, der ich niemals fremdes Gut genommen?« »Ja«, erwiderte Mithridanes rasch. »Nun, so tue denn, was ich dir sagen werde. Jung, wie du bist, wirst du hier in meinem Hause bleiben und Nathan heißen. Ich aber will in dein Haus gehen und mich hinfort Mithridanes nennen lassen.«
»Wenn ich«, antwortete Mithridanes hierauf, »so edel zu handeln verstände, wie Ihr versteht und längst verstanden habt, so nähme ich ohne lange Überlegung an, was Ihr mir anbietet. Da es mir aber nur zu gewiß scheint, daß meine Taten eine Verminderung von Nathans Ruhm wären, und ich nicht die Absicht habe, einen ändern um das zu bringen, was ich selbst nicht zu erreichen vermag, so kann ich es nicht annehmen.«
Während diese und andere freundliche Gespräche zwischen Nathan und Mithridanes gewechselt wurden, kehrten sie, wie es dem Nathan gefiel, nach dem Schlosse zurück, wo dieser noch mehrere Tage lang den Mithridanes auf das ehrenvollste bewirtete und ihn nach Wissen und Vermögen in seinem edlen und großen Vorsatz bestärkte. Als jedoch Mithridanes endlich mit seiner Begleitung nach Hause zurückkehren wollte, entließ ihn Nathan, nachdem er ihn sehr wohl überzeugt hatte, daß er ihn in der Freigebigkeit niemals übertreffen könnte.
Vierte Geschichte
Herr Gentile da Carisendi rettet, von Modena kommend, eine Dame, die er liebte und die man als tot beigesetzt hatte, aus der Gruft. Ins Leben zurückgerufen, genest sie eines Sohnes, und Herr Gentile gibt sie und ihr Kind dem Niccoluccio Caccianimico, ihrem Gemahl, wieder zurück.
Wunderbar erschien es allen, wie jemand mit seinem eigenen Blut auf diese Art freigebig sein konnte, und alle behaupteten, Nathan habe fürwahr die Großmut des Königs von Spanien und die des Abtes von Clugny noch übertroffen. Doch nachdem darüber zur Genüge geredet worden war, gab der König dadurch, daß er Lauretta anblickte, zu erkennen, daß er ihre Erzählung zu hören wünsche, weshalb diese sofort begann:
Ihr jungen Damen, gar edle und schöne Dinge sind es, die uns bis jetzt erzählt wurden, und mir scheint kaum, daß uns, denen noch zu reden obliegt, etwas übriggelassen sei, worin wir in unseren Erzählungen uns ergehen könnten - so sehr waren sie alle von der Hoheit der edlen Gesinnung erfüllt, die in jenen Geschichten sich aussprach -, wenn wir uns jetzt nicht den Dingen der Liebe zuwenden wollen, die für jede Aufgabe so reichlichen Redestoff liefern. Deshalb gefällt es mir, euch deswegen wie auch darum, weil unsere Jugend uns vorzugsweise dahin leiten muß, von der Großmut eines Liebenden zu erzählen. Diese aber wird euch, alles wohl erwogen, vielleicht nicht geringer scheinen als eine von den schon erzählten
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