Das Dekameron
du hegst und die allein dir diese Krankheit zugezogen haben. Fasse Mut und sei überzeugt, daß du nichts von mir fordern kannst, was ich nicht, soweit es in meinen Kräften steht, gern täte, um dich, den ich mehr als mein Leben liebe, zufriedenzustellen. Verbanne deine Scheu und deine Besorgnis, sage mir, ob ich deine Liebe irgendwie fördern kann. Du darfst mich für die grausamste Mutter halten, die je einen Sohn geboren hat, wenn du mich dann nicht auf das eifrigste bemüht findest, dich zum Ziele zu führen.«
Als der Jüngling diese Worte seiner Mutter vernahm, errötete er, weil er sein Geheimnis entdeckt sah. Da er aber bedachte, daß niemand besser als sie imstande sei, seinem Verlangen Gewährung zu verschaffen, überwand er seine Scheu und sagte: »Mutter, ich habe meine Liebe nur vor Euch verborgen gehalten, weil ich bemerkt habe, daß die meisten Menschen, wenn sie zu Jahren kommen, sich nicht mehr daran erinnern wollen, daß auch sie einmal jung waren. Weil ich Euch aber hierin so verständig finde, will ich nicht leugnen, daß es sich so verhält, wie Ihr vermutet. Mehr noch, ich will Euch auch offenbaren, wen ich liebe, vorausgesetzt, daß Ihr Euer Versprechen nach Kräften erfüllt, denn nur dadurch könnt Ihr mich gesund machen.«
Im Vertrauen darauf, daß ihr gelingen werde, was ihr nicht gelang, zumindest nicht so, wie sie sich's gedacht hatte, erwiderte die Dame in zuversichtlichem Ton, er möge ihr seine Wünsche ohne Bedenken mitteilen, und sie werde sich sogleich bemühen, sein Verlangen zu stillen.
Darauf sagte der Jüngling: »Liebe Mutter, die hohe Schönheit und das mustergültige Benehmen unserer Jeannette, die Unmöglichkeit, sie meine Liebe erkennen zu lassen, geschweige denn ihr Mitleid zu wecken, und meine eigene Scheu, die mich gehindert hat, zu jemandem von meiner Liebe zu sprechen, haben mich in den Zustand versetzt, in dem Ihr mich jetzt seht. Und sollte aus irgendeinem Grund das unterbleiben, was Ihr mir versprochen habt, so dürft Ihr überzeugt sein, daß mein Leben bald ein Ende nimmt.«
Die Dame, die spürte, daß es im Augenblick besser war, ihn zu ermutigen, statt ihm Vorwürfe zu machen, antwortete lächelnd: »Darum also hast du dich krank gegrämt? Nun, wenn es das ist, so sei guten Mutes und lasse mich sorgen, sobald du wieder gesund bist.«
Von froher Hoffnung erfüllt, wies der Jüngling binnen kurzem Zeichen entschiedener Besserung auf, und die Dame, hocherfreut über den Erfolg, dachte nun daran, wie sie das dem Sohn gegebene Versprechen erfüllen wolle. Zu diesem Zweck rief sie eines Tages Jeannette und fragte sie unter freundlichen Scherzen, ob sie einen Liebsten habe. Jeannette errötete über und über und erwiderte: »Gnädige Frau, für ein armes, von Hause verstoßenes Mädchen wie mich, das in fremden Diensten steht, ziemt es sich nicht, sich mit der Liebe abzugeben.« Darauf sagte die Dame: »Wenn Ihr denn keinen Liebhaber besitzt, so wollen wir Euch einen verschaffen. An dem sollt Ihr Eure Freude haben und Eurer Schönheit erst recht froh werden. Ein so schönes Mädchen wie Ihr darf nicht ohne einen Liebsten sein.« »Gnädige Frau«, entgegnete darauf Jeannette, »Ihr habt mich der Armut meines Vaters entrissen und wie eine Tochter aufgezogen. Darum wäre es meine Pflicht, alles zu tun, was Ihr verlangt. In diesem einen Punkte aber kann ich Eurem Willen nicht gehorchen und glaube, daran recht zu tun. Wenn es Euch gefällt, mir einen Mann zu geben, so werde ich den lieben, aber keinen ändern; denn mir ist von dem Erbe meiner Vorfahren nichts geblieben als die Sittsamkeit, und so will ich die hüten und bewahren, solange mein Leben währt.«
Diese Worte waren dem Plane sehr entgegen, den die Dame ersonnen hatte, um das dem Sohn gegebene Versprechen zu erfüllen, obwohl sie, verständig wie sie war, in ihrem Herzen das Mädchen dafür um so höher achten mußte.
Sie sagte darauf: »Wie aber, Jeannette, wenn unser gnädiger Herr König, der ein junger Ritter ist, von deiner Liebe eine Gunst begehrte, weil du ein schönes Mädchen bist? Würdest du sie ihm abschlagen?« Sogleich erwiderte jene: »Gewalt könnte mir der König antun, aber mit meinem Willen erlangte er nie etwas anderes von mir, als was der Sittsamkeit gemäß ist.«
Die Dame sah nun wohl, wie es um die Gesinnung des Mädchens stand. Deshalb sparte sie sich weitere Reden und sann darauf, sie durch die Tat auf die Probe zu stellen. Deshalb sagte sie zu ihrem Sohn, sie werde ihn, sobald
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