Das Dekameron
zur Liebe, so zum Beispiel meine Jugend und die Abwesenheit meines Gemahls. All dies möge also jetzt verbunden auftreten, um mich in Euren Augen wegen meiner glühenden Liebe zu entschuldigen, und gelingt mir dies Bestreben, wie es bei einem verständigen Manne gelingen muß, so bitte ich Euch, mir Euren Rat und Eure Hilfe zu gewähren. Ich gestehe Euch nämlich, daß ich unfähig bin, während der Abwesenheit meines Gemahls dem Stachel des Fleisches und der Gewalt der Liebe Widerstand zu leisten, welche beide so mächtig sind, daß die stärksten Männer, geschweige denn zarte Frauen von ihnen oftmals überwältigt wurden und noch täglich werden. Im Wohlleben und in der Muße, denen ich, wie Ihr seht, ausgeliefert bin, habe ich die Schwäche besessen, dem Verlangen der Liebe nachzuhängen und in verliebter Glut mich zu entzünden. Obwohl ich weiß, daß meine Schwachheit, wenn sie bekannt würde, als unziemlich gelten müßte, finde ich nichts Unehrenhaftes dabei, solange sie verborgen ist und bleibt. Ist mir doch Amor insoweit günstig gewesen, daß er mir bei der Wahl des Geliebten nicht etwa die Einsicht geraubt, sondern vielmehr sie mir in reichem Maße verliehen hat, indem er mir in Eurer Person den gezeigt hat, der die Liebe verdient, die ihm eine Dame wie ich entgegenbringt. Täuscht mich kein Blendwerk, so seid Ihr der schönste, liebenswürdigste, anmutigste und verständigste Ritter, der im Königreich Frankreich gefunden werden kann. Außerdem fehlt Euch die Frau, wie mir jetzt der Gemahl fehlt. So bitte ich Euch denn bei der heißen Liebe, die ich für Euch im Herzen trage, mir die Eure nicht vorzuenthalten und mit meiner Jugend Mitleid zu haben, die sich in Wahrheit um Euretwillen wie das Eis am Feuer völlig verzehrt.«
Diesen Worten folgte ein solches Übermaß von Tränen, daß die Dame, die noch weitere Bitten hinzufügen wollte, nicht imstande war, weiterzureden, sondern das Haupt niederbeugte und, wie vom Gefühl überwältigt, damit weinend an die Brust des Grafen sank. Der Graf dagegen schalt als ein durchaus rechtlicher Ritter so törichte Liebe, stieß die Dame zurück, die ihm schon um den Hals fallen wollte, und versicherte mit den heiligsten Schwüren, lieber ließe er sich vierteilen, als von sich selbst oder von anderen solch ein Vergehen gegen die Ehre seines Herrn zu dulden.
Jedoch kaum hatte die Dame das vernommen, so war ihre Liebe vergessen und in wütenden Haß verwandelt. »Plumper Ritter«, rief sie, »soll ich denn auf solche Weise wegen meines Antrags von Euch verhöhnt werden? Da sei doch Gott vor, daß ich, weil Ihr mich töten wollt, nicht Euch statt dessen ums Leben bringen oder aus der ganzen Welt vertreiben sollte!« Und während sie noch sprach, fuhr sie mit den Händen in die Haare, zerraufte und verwirrte sich ganz, riß sich die Kleider auf, zerschlug sich den Busen und schrie, so laut sie konnte: »Zu Hilfe, zu Hilfe, der Graf von Antwerpen will mir Gewalt antun!«
Als der Graf dieses Benehmen sah, sprang er auf, so rasch er nur konnte, weniger um der Reinheit seines Gewissens willen als aus Furcht vor dem höfischen Neide, der, wie er ahnte, der Bosheit der Fürstin mehr Glauben schenkte als seiner Unschuld. Er verließ das Zimmer und den Palast und floh in seine Wohnung. Hier hob er, ohne sich weiter zu besinnen, seine beiden Kinder aufs Pferd, stieg selber auf und ritt, so schnell er nur konnte, nach Calais. Inzwischen liefen auf das Geschrei der Dame viele Leute herbei, und als sie diese im beschriebenen Zustand antrafen, glaubten sie nicht allein dem von ihr vorgegebenen Grund ihres Schreiens, sie behaupteten noch außerdem, die Artigkeit und das zierliche Wesen des Grafen hätten nur zur Erreichung dieses Zieles dienen sollen. So lief denn alles wütend nach dem Hause des Grafen, um ihn festzunehmen, und als er nicht mehr gefunden ward, plünderte und zerstörte man es, bis es dem Erdboden gleichgemacht war. Auch gelangte die Neuigkeit, entstellt wie sie zu Paris erzählt wurde, in das Heer des Königs und seines Sohnes. Diese verurteilten, hocherzürnt über solchen Frevel, den Grafen und seine Nachkommen zu ewiger Verbannung und versprachen jedem, der sie lebend oder tot einbrächte, die größte Belohnung.
Es betrübte den Grafen, daß er, seiner Unschuld ungeachtet, durch die Flucht den Schein der Schuld auf sich nehmen mußte, doch ließ er darum nicht in seiner Eile nach, kam unerkannt mit seinen Kindern nach Calais, schiffte von dort eilig nach
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