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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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England hinüber und machte sich in ärmlicher Kleidung auf den Weg nach London. Bevor er indes die Stadt betrat, unterwies er seine Kinder ausführlich, besonders aber in zwei Dingen, daß sie nämlich erstens die dürftige Lage, in welche sie das Schicksal ohne ihre Schuld alle zusammen gestürzt, geduldig ertragen möchten, und daß sie zum ändern, so lieb ihnen ihr Leben sei, mit der größten Sorgfalt verborgen halten möchten, woher sie gekommen und wessen Kinder sie seien. Der Sohn hieß Ludwig und zählte etwa neun Jahre, die Tochter, die Violante hieß, hatte deren ungefähr sieben, und beide faßten, soweit ihr zartes Alter es zuließ, die Unterweisungen ihres Vaters gut auf, wie sie es später durch die Tat bewiesen. Damit sie es leichter hätten, glaubte der Vater, die Namen der Kinder ändern zu müssen, und nannte den Knaben Pierrot, das Mädchen Jeannette.
    Nachdem sie nun in ärmlicher Tracht nach London gekommen waren, fingen sie an, so nach Almosen umherzugehen, wie wir es täglich die französischen Bettler tun sehen. Als sie eines Morgens in dieser Absicht eine Kirche besuchten, geschah es, daß eine vornehme Dame, welche mit einem der Marschälle des englischen Königs vermählt war, den Grafen und seine beiden Kinder gewahrte, wie sie eben um Almosen baten. Die Dame fragte ihn, woher er sei und ob die Kinder ihm gehörten. Er erwiderte, er sei aus der Pikardie und habe wegen der Verbrechen seines ungeratenen älteren Sohnes mit diesen beiden, die auch seine Kinder seien, fliehen müssen. Die Dame hatte ein gar mitleidiges Herz. Sie warf ein Auge auf die Kleine, die ihr wohlgefiel, weil sie hübsch, sittsam und zutraulich war, und fragte: »Guter Freund, wenn du nichts dawider hast, mir dein Töchterchen zu lassen, so will ich es um seines günstigen Aussehens willen gern nehmen, und wenn ein ordentliches Mädchen aus ihm wird, werde ich es zur gegebenen Zeit angemessen verheiraten.« Dem Grafen war der Vorschlag höchst willkommen. Er willigte sogleich ein, übergab der Dame mit Tränen das Kind und empfahl es ihr auf das dringlichste.
    Als nun der Graf das Töchterchen untergebracht hatte und in guten Händen wußte, beschloß er, nicht länger in London zu bleiben, sondern durchwanderte bettelnd die Insel und gelangte endlich mit Pierrot, von der ungewohnten Anstrengung der Fußreise ermüdet, nach Wales. Hier wohnte ein anderer königlicher Marschall, der ein stattliches Hauswesen und zahlreiche Dienerschaft hielt und an dessen Hofe der Graf und sein Sohn häufig vorsprachen, um eine Mahlzeit zu erhalten. Dieser Marschall hatte einen Sohn, der sich mit den Söhnen anderer Edelleute im Laufen, Springen und dergleichen übte, wie es Kinder tun. Pierrot gesellte sich zu ihnen und tat es ihnen in allem gleich oder übertraf sie sogar. Einige Male sah der Marschall diesen Spielen zu, und das Betragen des Knaben gefiel ihm so sehr, daß er fragte, wem er gehöre. Man erwiderte, er sei der Sohn eines armen Mannes, der zuzeiten komme, um ein Almosen zu erbitten. Darauf ließ der Marschall den Vater um den Knaben ansprechen, und dieser, der Gott um nichts dringlicher gebeten hatte, willigte gern ein, so leid es ihm auch tat, sich von dem Knaben trennen zu müssen.
    Da nun der Graf Sohn und Tochter versorgt sah, gedachte er nicht länger in England zu verweilen, sondern sah, wie er hinüber nach Irland kam. Hier angekommen, verdingte er sich in der Nähe von Stamford bei einem Grafen auf dem Lande als Knecht, versah sämtliche Arbeiten, die einem Knecht oder Pferdejungen obliegen, und blieb dort unter vielem Ungemach und großer Mühe lange Zeit, ohne von irgendjemand erkannt zu werden.
    Inzwischen nahm Violante, die jetzt Jeannette hieß, bei der Edeldame in London an Jahren und an Schönheit zu und gewann die Gunst der Dame, ihres Gemahls, der übrigen Hausbewohner und aller, die sie sonst kannten, in erstaunlichem Maße. Denn es war niemand, der nicht gestehen mußte, daß ihr sittsames Wesen der höchsten Auszeichnung und des schönsten Lohnes wert sei. Aus diesem Grunde hatte die Dame, die sie von ihrem Vater empfangen und über ihre Abkunft nie etwas anderes hatte erfahren können, als was sie von diesem selber gehört, sich schon vorgenommen, sie ihrem vermeintlichen Stande gemäß gut zu verheiraten. Gott aber, der die Verdienste der Menschen mit gerechtem Auge durchschaut, erwog ihre adelige Geburt und ihre Unschuld, die für fremde Sünde büßte, und lenkte es anders; denn wir müssen

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