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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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erbarmte sich des armen alten Mannes. Er befahl einem seiner Diener, ihn ins Haus zu führen und ihm zu essen zu geben. Der Diener tat willig, was ihm geboten war. Jeannette aber hatte Jakob schon mehrere Kinder geboren, von denen das älteste nicht mehr als acht Jahre zählte und die sämtlich die hübschesten und artigsten Kinder von der Welt waren. Als diese den Grafen essen sahen, waren sie gleich alle um ihn her und taten ihm schön, als ob sie, von einer verborgenen Kraft getrieben, geahnt hätten, daß er ihr Großvater sei. Der Graf wurde bald gewahr, daß er seine Enkel vor sich hatte, und herzte und liebkoste sie, weshalb denn die Kinder nicht von ihm lassen wollten, soviel auch der, dem die Aufsicht über sie oblag, nach ihnen rief. Jeannette hörte das und kam aus einem anstoßenden Gemach in das Zimmer, wo sich der Graf befand. Sie drohte den Kindern nachdrücklich mit Schlägen, wenn sie nicht täten, was ihr Lehrer wollte. Da fingen die Kinder zu weinen an und erklärten, sie wollten bei dem wackeren Manne bleiben, der sie lieber hätte als ihr Erzieher, worüber Graf und Gräfin herzlich lachen mußten.
    Inzwischen hatte sich der Graf erhoben, nicht um die Tochter als Vater zu begrüßen, sondern um als armer Mann einer vornehmen Dame die schuldige Ehrfurcht zu erweisen, und hatte sich in der Stille unsäglich über ihren Anblick gefreut. Sie aber erkannte ihn weder damals noch späterhin, so sehr hatte er sich verändert; denn alt und grau und mager, bärtig und braungebrannt wie er war, glich er eher einem Wildfremden als dem Grafen von Antwerpen. Als die Dame sah, daß die Kinder nicht von ihm ablassen wollten, sondern weinten, sagte sie dem Hofmeister, er möge sie nur eine Weile gewähren lassen.
    Während aber die Kinder noch bei dem wackeren Manne verweilten, kam Jakobs Vater zufällig nach Hause und erfuhr vom Hofmeister, was sich zugetragen hatte. Jeannette war ihm ohnehin zuwider, und so sagte er zu diesem: »Laßt sie, beim Henker, der sie holen mag, wenn er Lust hat. Ihr Benehmen zeigt ja nur ihre Abkunft. Von mütterlicher Seite sind sie Bettelkinder, darum ist's kein Wunder, wenn sie sich am liebsten mit Bettlern abgeben.« Der Graf hörte diese Rede und fühlte sich schwer gekränkt, doch zuckte er die Achseln und trug diesen Schimpf geduldig wie so manchen ändern. Jakob hingegen liebte die Kinder sehr und hatte gesehen, wie freundlich sie gegen den wackeren Mann gewesen waren. Obwohl ihm das nicht paßte, ließ er, nur um keine Tränen sehen zu müssen, jenem sagen, wenn er im Hause einen Dienst annehmen wolle, werde er willkommen sein. Der Graf antwortete, er wolle gern bleiben, er verstehe sich jedoch nur darauf, die Pferde zu warten, was er sein ganzes Leben lang getan habe. Darauf wurde ihm ein Pferd zugewiesen, und sobald er das besorgt hatte, scherzte und spielte er mit den Kindern.
    Derweilen das Schicksal auf die bisher geschilderte Weise den Grafen und seine Kinder geleitet hatte, war der König von Frankreich, nachdem er mit den Deutschen mehrmals Waffenstillstand geschlossen, von hinnen gefahren. An seiner Stelle war sein Sohn gekrönt worden, dessen Gemahlin die Ursache gewesen war, um derentwillen der Graf vertrieben wurde. Als der letzte Waffenstillstand mit den Deutschen abgelaufen war, fing der junge König den Krieg mit neuer Erbitterung wieder an, und der König von England als sein neuer Vetter sandte ihm zahlreiche Hilfstruppen, die unter Führung seines Marschalls Pierrot und des Jakob Lamiens standen, welcher der Sohn seines zweiten Marschalls war. In dem Gefolge des letzteren zog auch der wackere Mann, der Graf nämlich, mit, lebte geraume Zeit im Lager als Pferdeknecht, ohne erkannt zu werden, und bewirkte hier infolge seines Verstands und seiner Erfahrung durch Rat und Tat viel mehr Gutes, als sich für seine Lage schickte.
    Während dieses Krieges nun wurde die Königin von Frankreich von einer schweren Krankheit befallen; und als sie erkannte, daß der Tod nahe war, bereute sie ihre Sünden und beichtete sie zerknirscht dem Erzbischof von Rouen, der allgemein für einen besonders frommen und aufrechten Mann gehalten wurde. Unter anderen Sünden bekannte sie ihm auch das schwere Unrecht, das sie dem Grafen von Antwerpen zugefügt, und begnügte sich nicht damit, dies dem Bischof zu berichten, sondern schilderte den ganzen Hergang der Sache in Gegenwart vieler anderer angesehener Personen und bat diese, sich beim König dahin zu verwenden, daß der Graf

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