Das Dekameron
er genesen sei, mit dem Mädchen in eine Kammer bringen. Dann möge er versuchen, selbst ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen; denn es scheine ihr unschicklich, wie eine Kupplerin ein gutes Wort für ihren Sohn einzulegen und ein Mädchen zu bitten, das in ihren Diensten stehe.
Der junge Mann war mit diesem Vorschlag keineswegs zufrieden und wurde alsbald wieder um vieles kränker. Als die Mutter das sah, gab sie Jeannette in aller Offenheit ihre Wünsche zu erkennen, fand diese aber noch standhafter als zuvor. Darauf erzählte sie alles, was sie bisher getan hatte, ihrem Gemahl. So schwer es ihnen auch fiel, entschlossen sie sich dennoch gemeinsam, Jeannette ihrem Sohn zur Frau zu geben, da sie immer noch lieber den Sohn unstandesgemäß verheiratet, aber lebendig, als unverheiratet und tot sehen wollten. Und so taten sie denn nach vielem Hin- und Herreden wirklich. Jeannette freute sich dessen innigst und dankte Gott aus vollem Herzen, daß er sie nicht vergessen habe, sagte aber dennoch nichts anderes, als sie sei die Tochter eines Pikarden. Der junge Mann genas, feierte sein Hochzeit, fröhlich wie kein anderer, und begann die Freuden zu genießen, welche die Liebe ihm bot.
Inzwischen hatte sich Pierrot, bei dem anderen Marschall des Königs von England aufwachsend, ebenfalls die Gunst seines Herrn erworben. Er war schön von Gestalt und so wacker wie kein anderer auf der Insel, so daß in Kampfspielen und Turnieren niemand unter den Einheimischen sich der Waffen so mächtig erwies wie er. So war er denn unter dem Namen Pierrot, der Pikarde, den sie ihm beigelegt, überall gekannt und geehrt. Wie aber Gott seine Schwester nicht vergessen hatte, so zeigte sich bald, daß er auch seiner gedachte. Es kam über jene Gegenden eine verheerende Seuche, die fast die Hälfte der Bevölkerung hinwegraffte, davon ganz zu schweigen, daß auch von den übrigen so viele in ferne Landschaften flohen, daß das Land völlig verlassen zu sein schien. In diesem allgemeinen Sterben kamen auch Pierrots Herr, der Marschall, dessen Gemahlin und Sohn nebst mehreren anderen Brüdern, Neffen und Verwandten des Hauses um, so daß niemand übrigblieb als eine schon mannbare Tochter, Pierrot und einige andere Diener. Als die Seuche ein wenig nachgelassen hatte, entschloß sich die junge Dame auf den Rat und zur Freude einiger am Leben gebliebener Nachbarn, Pierrot als einen tapferen und tüchtigen Menschen zum Manne zu nehmen, und machte ihn zum Herrn über alles, was ihr durch Erbschaft zugefallen war. Auch dauerte es nicht lange, so vernahm der König von England den Tod des Marschalls und ernannte darauf Pierrot, den Pikarden, dessen Tüchtigkeit ihm bereits bekannt geworden war, an Stelle des Verstorbenen zu seinem Marschall.
Dies sind in kurzen Zügen die Schicksale der beiden unschuldigen Kinder des Grafen von Antwerpen, die dieser als verloren zurückgelassen hatte.
Es waren schon achtzehn Jahre verstrichen, seit der Graf aus Paris entflohen war, als er nach mancherlei Leiden und gar dürftigem Leben Lust bekam, Irland, wo er sich bisher aufgehalten hatte, zu verlassen, um nun, im Alter, zu vernehmen, was aus seinen Kindern geworden war. Er sah wohl, daß er in der langen Zeit seine Gestalt völlig verändert hatte, auch war er durch die langen körperlichen Anstrengungen rüstiger geworden als zuvor, während er in der Muße lebte. So verließ er, arm und schlecht gekleidet, wie er war, den Herrn, bei dem er lange Zeit gelebt hatte, und fuhr nach England hinüber. Zunächst ging er an den Ort, wo er Pierrot zurückgelassen hatte, fand ihn als einen großen Herrn und königlichen Marschall wieder und sah, daß er gesund und kräftig und schön von Gestalt geworden war. Zwar freute er sich darüber herzlich, doch wollte er sich nicht eher zu erkennen geben, als bis er über Jeannette Auskunft erhalten hatte.
Zu diesem Zweck machte er sich auf den Weg und gönnte sich keine Ruhe, bis er in London angekommen war. Hier fragte er sorgfältig nach der Dame, welcher er die Tochter gelassen, und nach ihren Familienverhältnissen und erfuhr, daß Jeannette die Frau ihres Sohnes geworden war. Seine Freude darüber war so groß, daß er alles vergangene Ungemach gering achtete, weil er seine Kinder lebend und in glücklicher Lage wiedergefunden hatte. Voller Verlangen, die Tochter wiederzusehen, ging er nun täglich in der Nähe ihres Hauses betteln. Hier sah ihn eines Tages Jakob Lamiens, denn so hieß der Gemahl Jeannettes, und er
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