Das Diamantenmädchen (German Edition)
vielleicht bessere Dienste geleistet, aber Gennat hatte Berlins Viertel wahrscheinlich sowieso im Kopf, und irgendwie passte der Pharus-Plan mit seinen eingezeichneten Sehenswürdigkeiten zum Rest der Einrichtung. Was nicht dazu passte, war der Frauenkopf auf dem Schreibtisch. Es war kein Frauenkopf aus Gips oder Marmor, der da stand. Es war ein präparierter Frauenkopf. Der Kopf eines Mordopfers, den sie vor ein paar Jahren aus dem Landwehrkanal gefischt hatten. Der Kopf stand für die fünf Prozent, sagte Gennat manchmal. Die fünf Prozent nicht aufgeklärter Morde. Er sollte ihn daran erinnern, dass man immer sein Bestes geben musste. Schambacher war nicht übermäßig empfindlich, das durfte man bei der Berliner Kriminalpolizei auch nicht sein, aber vor diesem Kopf graute ihm immer ein bisschen. Es gab, in der Ecke lehnend, auch noch eine langstielige Axt, mit der mal ein Mord begangen worden war, doch das war etwas völlig anderes. Damit hatte er jeden Tag zu tun. Aber der Kopf … Gennat hatte ihn auch noch als Zigarettenspender umfunktioniert. Niemals hätte er eine Zigarette aus diesem Kopf …
»Diamanten«, sagte er jetzt, und beugte sich vor, »sind reiner Kohlenstoff. Kommen bei uns praktisch nicht vor. Wir müssen alle importieren. Und sie sind wertvoll. In Zeiten wie unseren besonders.«
Gennat kramte in einer seiner Schubladen. Es wunderte Schambacher nur wenig, dass er einen Teller mit einem halb gegessenen Zwetschgenkuchen hervorzauberte. Gennat aß immer. Und er hatte eine Schwäche für Kuchen und Torten. Na ja, korrigierte sich Schambacher im Stillen, Gennat hatte eine Schwäche für Essen jeglicher Art.
»Die meisten Morde«, sagte Gennat mit vollem Mund und wies mit der Gabel in Richtung Schambacher, »geschehen nicht aus Habgier. Die meisten Morde geschehen aus Liebe oder Hass.«
»Oder aus politischen Gründen«, fügte Schambacher trocken an, »ungefähr fünfhundert in den letzten Jahren.«
»Jajaja«, sagte Gennat ungeduldig, »das ist nur, weil wir heutzutage Politik wie eine Eifersuchtsehe betreiben … das ist auch alles Hass. Was ich meine«, fragte er im Plauderton, »ist: Was macht ein Neger mit einem Diamanten am Nollendorfplatz?«
Schambacher zuckte mit den Achseln.
»Das wissen wir noch nicht«, antwortete er. »Togotzes ist dabei, die amerikanischen Clubs abzuklappern, ob die vielleicht einen Jazzmusiker vermissen. So viele Schwarze gibt es doch in Berlin gar nicht. Auf jeden Fall ist dann immer noch die Frage, warum er den Diamanten noch hatte, wenn er doch deswegen umgebracht wurde.«
»Schambacher«, tadelte Gennat in jovialem Ton, »Sie sind doch ein intelligenter Mann. Ist das nicht klar?«
Schambacher betrachtete fasziniert ein klein wenig Schlagsahne, die Gennat noch im linken Mundwinkel hatte, aber er dachte dabei nach.
»Ah!«, sagte er dann mit dem Vergnügen, das er immer empfand, wenn ihm plötzlich ein Zusammenhang klar wurde. »Natürlich. Er hatte mehrere Diamanten. Den einen hat der Mörder nur übersehen. Was bedeutet …«
»Was vermutlich bedeutet«, korrigierte Gennat gemütlich, wobei er das vermutlich betonte, »dass es sich um einen Raubmord handelt.«
»Haben Sie nicht vorhin behauptet, die meisten Morde geschähen nicht aus Habgier?«, erkundigte sich Schambacher mit einem Anflug von Bosheit.
Gennat winkte kauend ab.
»Die meisten Leute glauben auch, ich sei gemütlich, bloß weil ich dick bin«, sagte er dann, »das ist mein Vorteil bei Vernehmungen.«
»Chef«, sagte Schambacher nach einem Augenblick und gab sich Mühe, dabei ein Lächeln zu unterdrücken, »bei allem Respekt: Sie sind gemütlich! Nur: Gemütlich heißt ja nicht doof.«
»Sehen Sie, Schambacher«, lächelte Gennat nun auch, wischte die letzten Krümel von seiner Weste und nahm sich eine Zigarette aus dem Kopf, »deswegen verstehen wir uns so gut. Weil Sie den Unterschied kennen. Ist der Schwarze schon obduziert?«
Schambacher beugte sich vor und gab seinem Chef Feuer.
»Ist in der Pathologie. Ich gehe dort nachher mal vorbei.«
Gennat hatte die Photos vom Tatort in die Hand genommen und gab sie Schambacher zurück.
»Na denn, kleiner Doktor«, sagte er kurzatmig zwischen zwei Zügen, »Waidmannsheil.«
Schambacher stand auf.
»Waidmannsdank, Herr Kriminalrat«, antwortete er, nahm seinen Mantel auf und verließ das Büro. Beim Schließen der Tür sah er Gennat still rauchend dasitzen, schwer und dick und eins mit sich und der Welt, und fand, dass er den Spitznamen
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