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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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kleine Dünne mit schiefen Zähnen, sah ihn erschrocken an. Die Hand mit den in Pergamentpapier eingepackten Rollmöpsen schwebte verzagt über der Auslage:
    »Gar nichts? Aber eben wollten Sie doch noch …«
    Schambacher lächelte sie an und streckte die Hand nach dem Paketchen aus.
    »Nicht Sie, Fräulein. Ich habe mich gemeint. Ich weiß gar nichts.«
    Dann zahlte er und fuhr, immer noch in Gedanken, wieder nach unten und verließ das Kaufhaus Tietz nach der Spree hin. Es nieselte nach wie vor. Ein grauer Samstagnachmittag, in dem der ganze Jammer des Herbstes lag. Warum brachten sich Leute überhaupt gegenseitig um, überlegte Schambacher in einem Anflug von philosophischer Tristesse, während er einen Rollmops aus dem Papier holte. Irgendwie war der Duft nach Essig, Gewürzen und Fisch wie ein kleiner Trost an diesem trostlosen Tag. Und essen half ja eigentlich immer, dachte er mit einem schiefen Lächeln.
    Kauend ging er weiter. Der Kaiser-Wilhelm-Dom stand schwer und grau im Schleier des feinen Regens. Schambacher entschloss sich, doch eine Droschke zu nehmen. Aber natürlich fuhren sie alle vorbei. Wenn es regnete, war nie eine frei. Kurzentschlossen ging er von der Straße weg und hinunter zur Spree. Er musste sich sowieso zusammenreißen und endlich anfangen, richtig zu denken.
    Was haben wir?, fragte er sich. So fing er immer an. Der Nieselregen und die Umgebung wurden zum Hintergrund, als er begann, sein Wissen Stück für Stück zusammenzutragen. Wenn Diamanten gestohlen worden waren, mussten sie irgendwo fehlen. Es waren Rohdiamanten, und für die gab es nicht viele Handelswege. Er machte sich eine geistige Notiz, an die Diamantenbörse in Antwerpen zu telegraphieren, ob eine größere Menge Rohdiamanten vermisst wurde. An die belgische Polizei brauchte er als deutscher Kriminaler keine Anfrage zu stellen. Da wanderten alle deutschen Telegramme ungelesen in den Papierkorb. So lange war der Krieg noch nicht her, dass der Hass auf die Deutschen genügend abgekühlt war … außerdem hatte der Tote schwarze Hautfarbe, und die Belgier waren ja nicht eben dafür bekannt, mit Schwarzen pfleglich umzugehen. Dann musste bei der Meldebehörde angefragt werden, wie viele Amerikaner oder Afrikaner in Berlin lebten. Außerdem galt es herauszufinden, wie der Mann genau umgebracht worden war. Aus der Art des Mordes konnte man auf das Motiv schließen: War es ein kaltblütiger und geplanter Mord? Oder Tötung im Affekt? War das Opfer dort umgebracht worden, wo man es gefunden hatte? Das erzählte einem viel über Habgier, über Liebe oder Hass, über Politik. Nur im Krieg galt das alles nicht … da tötete man einfach so. Schambacher dachte daran, wie er das erste Mal einen Feind erschossen hatte. Er hatte sein Abitur vorgezogen. 1917 war das gewesen, und er eben erst achtzehn, als er sich freiwillig gemeldet hatte. Und dann, nach acht Wochen, an die Front, die bereits damals immer wieder wankte, mehr, als man zu Hause erfahren hatte. Schambacher schauderte ein wenig und strich sich unwillkürlich übers Gesicht. Man konnte das Gas nicht kommen sehen. Man konnte es nicht riechen, bis es da war. Und dann war es zu spät. Er war einfach umgefallen. Von einem Augenblick auf den anderen. Er war immer ein guter Schütze gewesen und schnell zu einer Scharfschützenabteilung gekommen. Eben noch hatte er einen Engländer in einem MG-Nest erwischt. Das erste Mal getroffen. Der Engländer war auch einfach umgefallen. Schambacher hatte sich in diesem kurzen Augenblick des Triumphs eingebildet, auf die Entfernung seinen überraschten Gesichtsausdruck gesehen zu haben, aber das entsprach vermutlich nicht der Wahrheit. Und dann war das Gas gekommen. Vielleicht war der Engländer deshalb so unvorsichtig gewesen. Weil er geglaubt hatte, das Gas sei schon bei den deutschen Linien angekommen. Im Herbst 1917 war das gewesen, ein diesiger, feuchter Tag wie heute, und die Bäume waren leer gewesen, während sie heute noch fast voll belaubt waren, aber das hatte wohl am Gas und den Granaten auf den Feldern von Ypern gelegen, und nicht am Herbst. Schambacher berührte unwillkürlich seine Augen. Er war sechs Wochen blind gewesen, und die Narben vom Senfgas auf den Oberarmen sah man heute noch. Dabei hatte er noch Glück gehabt – es war alles wieder geheilt. Es hatte Kameraden gegeben, die sahen heute ganz anders aus. Unwillig zuckte er mit den Schultern. Das war vorbei. Vorbei und vergessen. Und so war es eben – wer stärker war, der

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