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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie, als Shukow unter die aufgespannten Planen kroch. Valja Johannowna kniete im Schlamm, wie auch alle Verletzten einfach ohne Unterlagen im Schlamm lagen. »Haben Sie etwas Geschick im Medizinischen?«
    »Ich glaube schon.« Shukow zog einem Sträfling die klatschnasse Jacke aus. Darunter kam eine magere, eingefallene Brust zum Vorschein, deren Haut in voller Breite regelrecht zerfetzt war. Er war einer der Männer, die den Doppel-T-Träger aufgefangen hatten, als er zu schwanken begann. Das war vor einer Stunde gewesen. Seitdem lag der Mann im Schlamm und wartete geduldig, was mit ihm geschehen würde. »Ich habe schon einmal einen Pickel ausgedrückt –«
    »Sie Idiot!« Die goldenen Punkte tanzten wieder in ihren Pupillen. »Hier sind Mull und Jod! Säubern Sie dem Mann die Brust.«
    »Und dann?«
    »Das nächste Sanatorium für Rekonvaleszenten ist 2.000 Werst südlich.«
    »Das beruhigt mich ungemein.« Shukow nahm den Mull, schüttete das braune Jod darüber und beugte sich über den Verletzten. »Es wird verdammt brennen, Brüderchen, aber du krepierst wenigstens nicht an einer Sepsis«, sagte er und blickte den vom Schlamm Verkrusteten fragend an. »Weißt du, was eine Sepsis ist?«
    »Tupfen Sie schon los, mein Freund!« Der Verletzte streckte sich im Schlamm aus, als liege er in einem schönen, weißbezogenen Krankenbett. »Ich habe selbst darüber geschrieben. Ich bin Schriftsteller.«
    »Ein schöner Beruf. Aber nicht in Sibirien.«
    »Ein gefährlicher Beruf – in Rußland.«
    »Wieviel Jahre?«
    »Fünfzehn.«
    »Dann müssen Sie allerhand Unangenehmes geschrieben haben.«
    »Ich habe nur geschrieben, daß Rußland an seiner sich selbst beschäftigenden Verwaltung zugrunde geht.«
    »Wenn das strafwürdig ist, müßte Sie jeder Staat dieser Erde für fünfzehn Jahre einlochen und verschwinden lassen. Trösten Sie sich damit, Brüderchen! Wer staatliche Verwaltungen kritisiert, ist entweder ein Chaote oder ein Irrer. Eine andere Vokabel kennt der Staat nicht. Achtung! Beißen Sie die Zähne zusammen und kneifen Sie den Arsch ein … jetzt kommt das Jod!«
    Shukow legte den Mullappen mit dem Jod über die zerfetzte Brust. Der Verletzte bäumte sich kurz auf, knirschte mit den Zähnen, schloß die Augen, Tränen rannen über seine eingefallenen Wangen, aber er gab keinen Laut von sich. Nach einer ganzen Weile sagte er mit abgehackter, von Schmerzen zerstörter Stimme:
    »Danke, mein Freund. Das tut gut, bestimmt tut das gut.«
    »Jod sollte mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden.«
    »Auch das! Ich meinte –« der Schriftsteller versuchte ein verzerrtes Lächeln – »daß ich mit Ihnen sprechen konnte. Sie wissen nicht, wie wertvoll es ist, mit Menschen sprechen zu können. Mit Menschen! Wieviel Menschen gibt es noch unter 3,5 Milliarden Menschen? Einer davon sind Sie. Danke.«
    Shukow erhob sich und ging zu dem nächsten Verletzten. Die Wuginskaja verfolgte ihn mit ihrem Blick. Shukow kam sich schäbig vor, was etwas anderes ist als Reue oder Gewissen. Er nennt mich einen Menschen, dachte er, und doch bin ich hier, um die Geheimnisse seines Landes zu enträtseln. Er dankt dem Mann, der seinem Vaterland schadet. Vergessen wir den ganzen verlogenen Quatsch, daß wir für den Weltfrieden arbeiten, daß die Kenntnis der Stärke des Gegners ein Schutz für die Schwächeren ist. Wir sind eiskalte Profis im Gewerbe des Vernichtens, weiter nichts. Wir liefern die Unterlagen, und die anderen setzen sie als Waffe ein. Und er dankt mir. Mir, einem der wenigen Menschen! Zum Kotzen ist das, armes, knochiges Brüderchen mit der zerfetzten Brust …
    Die Wuginskaja kam zu ihm herüber, als er neben einem anderen Verwundeten kniete, dessen Arm im rechten Winkel stand. Ein Knochenbruch wie aus einem Lehrbuch. Der Verletzte grinste Shukow freudig an, als spüre er gar keine Schmerzen und habe auch keine Sorge, daß der Arm jemals wieder vernünftig zusammenwachse. Er hatte dem Gespräch mit dem Schriftsteller zugehört und sah Shukow nun auch als seinen Freund an.
    Freundschaft, das sind vier Fünftel des Lebens in einem Straflager. Das letzte Fünftel ist Arbeit, Essen, Trinken, Schlafen, die Entleerung des Körpers und in den stillen Nächten die Gedanken an zu Hause oder an eine Frau. Aber das alles ist nichts gegen einen Freund. Gemeinsamkeit heißt Überleben in Sibirien.
    »Wie lange?« fragte der Verletzte fast fröhlich.
    »Was?« fragte Shukow zurück.
    »Arbeitsunfähig.«
    »Das entscheidet der Arzt. Ich

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