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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wir wahrscheinlich mit Lastwagen weiter bis Ottokh. Jetzt zeigen wir mal, was Initiative ist!«
    »Ich gehe hinaus«, sagte Shukow. »Ich halte das alles für ein gefährliches Unternehmen. Es wird Menschen kosten.«
    »Halunken! Saboteure! Vaterlandsverräter! Defätisten! Ist's schade drum? Wer muß sie denn ernähren? Wir!« Der Zugleiter lachte meckernd. »Bleiben Sie lieber im Trockenen, Genosse, bis alles vorbei ist.«
    »Ich helfe mit!« Shukow zog seinen Mantel an. Die Wuginskaja band schweigend ein Kopftuch um ihre metallenen Haare. »Sie nicht!« sagte Shukow laut.
    »Bin ich ein erwachsener Mensch? Wenn Sie hinausgehen, gehe ich auch! Vielleicht braucht man einen Arzt.«
    »Bestimmt. Aber der Regen wirft Sie glatt um.«
    »Dann schnallen Sie mich auf den Rücken wie die afrikanischen Mütter ihre Säuglinge!« schrie sie ihn an. Ihre Trompetenstimme war wieder da, und das beruhigte ihn ungemein. Ihre bisherige Zärtlichkeit war ihm unter die Haut gegangen. »Sie haben es mir angeboten, Wassja Grigorjewitsch.«
    »Also gut!« Er schob den entgeisterten Zugführer aus der Tür, ging den kurzen Gang entlang und riß die Wagentür auf. Der Regen, jetzt durch keine Scheibe oder Wand gehindert, schlug ihm entgegen, als falle das Weltall, in Wasser verwandelt, auf die Erde. Zwei Bauarbeiter, vom Schicksal zu diesem Schlag ausersehen, liefen gerade an der offenen Tür vorbei und wunderten sich, daß ihnen plötzlich die gelben Kunststoffplanen vom Körper gerissen wurden. Shukow warf eine Plane Valja Johannowna zu, die andere schlang er sich selbst um. Die beraubten Arbeiter brüllten los, nannten Shukow einen Hurenbalg, wollten die Tür stürmen, aber da war der Zugführer schon da, stand hinter Shukow und schrie hell: »Ruhig, Genossen! Weiter! Weiter! Sie kommen von der Zentrale! Besorgt euch andere Planen! Genossen, haltet bloß die Schnauzen! Weg mit euch!«
    Die inzwischen völlig durchnäßten Arbeiter starrten Shukow böse an. Man las in ihren Blicken: Immer wird den Leuten von der Zentrale eine Extrawurst serviert! Trotzdem man in kommunistischer Gleichheit lebt! Aber dann liefen sie weiter, um sich Säcke zu besorgen, die gerade aus dem Materialwagen Nummer II ausgeladen wurden. Ob man sie mit Erde füllen und damit einen Teil des Flusses eindämmen wollte, war unklar.
    Shukow sprang in den Schlamm, der einmal eine Bahnlinie gewesen war, und hob Valja Johannowna aus dem Waggon. Sie war leicht wie eine Feder, er schätzte sie auf keine 100 Pfund. Als sie an ihm herunterrutschte auf den Boden, strich ihr Gesicht über sein Gesicht. Es war wie die Begegnung zweier magnetischer Platten.
    Sie wickelten sich in ihre gelben Kunststoffplanen und rannten den Sträflingen nach zum Fluß.
    Erst dort erkannten sie das ganze Ausmaß der Katastrophe. Die Brücke war völlig weggerissen, nur ein Betonpfeiler stand in den gurgelnden, wilden Wassern, ab und zu überspült von sich brechenden Wellen. Irgendein Mensch, der hier etwas zu sagen hatte, tauchte neben Shukow und der Wuginskaja auf, nannte verrückterweise seinen Namen, den im Lärm keiner verstand, und brüllte dann: »Der Fluß hat sechs Meter über normal! Wer hat damit gerechnet? Das ist absurd! Man erlebt hier Dinge, Genossen! Die gibt es nur in Sibirien! Im Sommer ist es möglich, daß Sie im Flußbett Murmeln spielen können, so trocken ist er! Oh, welche Scheiße!«
    Aber es war nicht der Fluß, sechs Meter über normal, der Shukow sprachlos machte, nicht die weggerissene Brücke, das überschwemmte Land, die unter Wasser stehenden Häuser, der im Schlamm versinkende Zug – nein, es war etwas ganz anderes. Ungläubig blickte er hinüber auf die andere Flußseite, wo man in einem großen Kahlschlag der Taiga zwischen ansteigenden Felsen ein Dorf vermutete.
    Dort standen, zum Teil bis zur Brust in den reißenden Wassern, durch Stricke mit den Bäumen am Ufer und auch untereinander verbunden, Menschen in einer langen Kette, Menschen, die etwas heranschleppten, Eisenträger hochstemmten und breite, flache Boote durch den Schlamm an die Tjuganja drückten. Nicht anders war es auf dieser Seite. Hier rammten die Gefangenen mit bloßer Menschenkraft den Doppel-T-Träger in die Erde, angefeuert vom Schreien der Wachmannschaften.
    »Wir haben jetzt mit dem Lager Sosnowka fast 1.400 Menschen im Einsatz«, erklärte der fremde Mann, der etwas zu sagen hatte und dessen Namen niemand verstand. »Wenn alles gutgeht, läuft in zwei Stunden der erste Kahn am Seil über

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