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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Fluß.«
    »Das ist ja Wahnsinn!« sagte Shukow tonlos. »Absoluter Wahnsinn. Die Boote kentern sofort, trotz der Stahlseile. Überhaupt – wie wollen Sie die Seile von drüben nach hier bekommen? Haben Sie Harpunenkanonen?«
    Er kannte das von Alaska her. Dort schoß man auch, wenn Pontonbrücken unmöglich waren, zunächst Stahlseile von Ufer zu Ufer, um an ihnen den Brückenschlag zu beginnen. Aber dazu hatte man Spezialkanonen und genial durchdachte Anker. Hier aber gab es nur müde, halb verhungerte, ausgemergelte, hoffnungslose Menschen, ›Tote Seelen‹, wie der Russe die zu sibirischer Strafe Verurteilten nannte. Sie hatten nichts als ihre Hände, ihre magere Kraft und das antreibende Brüllen ihrer Wächter im Nacken. Dawai! Dawai! Arbeitet, ihr Hunde! Verdient euch euer Fressen! Bis jetzt ward ihr nutzlos, aber jetzt braucht euch euer Vaterland!
    »Wir werden die Seile auch so über den Fluß bringen«, meinte der Mann, der etwas zu sagen hatte. »Mit einem Motorboot!«
    »Mit was?« Shukow wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Valja Johannowna neben ihm war nur noch ein gelber Fleck, sie hatte sich völlig in die Kunststoffplane verkrochen.
    »Wissen Sie was Besseres, Genosse?«
    »Warten. Unsere große Tugend.«
    »Nicht in Sibirien und nicht hier und jetzt. Es wird weiterregnen, und dann kommt keiner mehr rüber! Der Fluß hat –«
    »Sechs Meter über normal, ich weiß. Und wenn es zehn Meter werden?«
    »Dann kann der Fluß mich am Arsch lecken!« schrie der Mann.
    »Das wird er bestimmt, wenn Sie sich in eines der Boote setzen.«
    »Ihren Humor möchte ich haben. Haben Sie einen vernünftigen Vorschlag, Genosse Ingenieur?«
    »Man sollte den Betonpfeiler, der stehengeblieben ist, ausnützen und beim Drahtspannen einbeziehen. Als Zwischenstation.«
    »Und die Strudel drum herum? Sehen Sie nicht die verdammten Strudel?«
    »Das stimmt.«
    »Jedes Boot zerschellt an dem Betonpfeiler. Mein Wort darauf.«
    »Ich glaube es Ihnen. Aber so ersaufen Hunderte von Menschen.«
    »So oder so … es kommt ja nur noch auf die Stelle an.« Der Mann, der etwas zu sagen hatte, winkte ab. »Es bleibt also das Motorboot.«
    »Und wie stark ist der Motor?«
    »Ein Außenborder. 40 PS!«
    »Darauf einen Wodka, Brüderchen!« Shukow schlang die Plane enger um sich. Der Regen schlug durch jede Ritze. »Haben Sie schon mal versucht, mit einem Kinderwindrad zum Mond zu fliegen?«
    Der Mann sah Shukow böse an und rannte dann weiter. »Dämlich reden kann jeder«, knurrte er dabei. »Mach es besser, Genosse …«
    Man konnte nichts besser machen, denn die Lage wurde immer schlechter. Was an Wasser aus dem Himmel fiel, hatte Shukow nie für möglich gehalten. Auch bei seiner Spezialausbildung in Alaska hatte ihm keiner gesagt, daß so etwas möglich sei. Im Training hatten sie alles durchgespielt: Schneestürme, Eiswinde, das Leben in Erdhöhlen, oder – das andere Extrem – glühende Hitze, Wasserlosigkeit, ein Boden, der sich vor Trockenheit spaltete. Sie hatten im Winter rohes Nerzfleisch gegessen und im Sommer Nattern und Heuschrecken … nur an den großen Regen hatte keiner gedacht. An einen normalen Frühlings- und Herbstregen natürlich, an Väterchen Schlamm und Väterchen Frost, an Eisschollenberge auf den sibirischen Strömen oder tageweite, ausgedörrte gelbe, von Sandwinden überfegte Steppen … aber so etwas von Regen wie hier war meteorologisch absurd und deshalb nicht im Lehrplan.
    Nach zweieinhalb Stunden stand tatsächlich der Doppel-T-Träger auf dem diesseitigen Ufer in der Erde, zwei Meter tief in den Boden gerammt. Eingegraben, eingestampft, eingedrückt durch bloße Menschenkraft. Shukow rüttelte an ihm … es war unbegreiflich. Wenn man das im Westen erzählte, würden sich alle an die Stirn tippen. Agentenlatein.
    Die Wuginskaja war im Einsatz und arbeitete unter vier Planen, die man zwischen Holzstangen aufgespannt hatte. Es hatte vierunddreißig Verletzte gegeben, bis jetzt, meistens Quetschungen und Abschürfungen, aber auch drei Armbrüche. Dazu sechs Herzversagen und einen Mann, dem die Nerven zerrissen waren und der immerzu »Freßt euch in die Erde! Wir sind Maulwürfe! Maulwürfe sind wir!« schrie.
    Die Wuginskaja schmierte Jod auf die Wunden, schiente die Brüche, verband, gab den Herzkranken Tropfen und dem Tobenden eine Injektion, nach der er umfiel wie ein gefällter Baum. Schaum quoll über seine Lippen, aber keiner kümmerte sich mehr darum.
    »Sie könnten mir helfen«, sagte

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