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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Fenster, »Sie sind eine jener Frauen, deren Liebesfähigkeit Welten zerstören und neue Gestirne gebären kann –«
    »Ich weiß es nicht, Wassja Grigorjewitsch.« Ihre Stimme klang auf einmal, als habe man sie halbiert. Nichts mehr von dem sieghaften und beherrschenden Trompetenton, nur noch Schwingungen, die aus der Tiefe weiblicher Rätselhaftigkeit drangen.
    »Darf ich sagen: Sie haben nie geliebt, Valja Johannowna?«
    »Vielleicht.« Sie stellte sich neben ihn und drückte ihre Stirn neben seiner Stirn gegen die kalte Scheibe. Die Wachsoldaten marschierten noch immer durch den peitschenden Regen, wie Marionetten, deren Fäden ein irr gewordener Puppenspieler zieht. Aber es hatte alles System: Sie stampften nach hinten zu den Gefangenenwaggons, offensichtlich, um die Zusammengepferchten herauszuholen als die ersten Arbeiter, die den Fluß bezwingen sollten.
    »Natürlich gab es Männer«, sagte die Wuginskaja mit ihrer fremden halben Stimme. »Studenten, Kollegen. Einmal etwas Irres. Ein Zirkuskünstler. Ein Trapezclown. Er stürzte ab, ich versorgte ihn chirurgisch und ging zwei Wochen später mit ihm ins Bett. Nur einmal. Er roch nach Manege. Wissen Sie, dieser eigenartige Duft, der jeden fasziniert, aber wenn man mit ihm im Bett liegt, wird er unerträglich. Für mich wenigstens. Ich bin ein Ästhet. Ein Körper sollte auch im Liebesschweiß wie Honig duften.« Sie lachte plötzlich und schlug mit beiden Fäusten Shukow gegen die Brust und auf den Rücken. »Verrückt! Verrückt! Wir liegen mitten in Sibirien fest, von der Natur besiegt, und erzählen uns Dinge aus der tiefen Seele. Was soll das, Wassja Grigorjewitsch?«
    »Vielleicht fehlte uns das, Valja.« Er hielt ihre kleinen Fäuste fest. »Sie hatten nie Gelegenheit, darüber zu sprechen.«
    »Nie! Nie! Und nun? Reißen Sie den Vorhang vor die Tür, ziehen Sie mir die Kleider aus und nehmen Sie mich da auf der Sitzbank?«
    »Nein.«
    »Wegen Dunja?« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Es ist jetzt acht Uhr neununddreißig Minuten. Dunja steigt in diesem Augenblick irgendwo aus dem Bett eines Mannes, oder sie steht schon unter der Dusche und spült sich seinen Geruch ab. Glauben Sie, dabei denkt Dunja gerade an Sie?«
    »Um diese Zeit putzt sie die Kräne der Milchbar«, sagte er heiser.
    »Ach! So eine ist sie? Gratuliere! Ein Trinkhallenmädchen –«
    »Valja Johannowna, reden Sie nicht weiter! Bitte! Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Dunja ist ein Lächeln von Gottes Lippen.«
    »Das sagt ein Kommunist! Sind Sie ein verkappter Popenküsser? Einer, der noch an diesen Christus glaubt?«
    »Sie haben es nie getan, nicht wahr?«
    »Nie! Meine Ahnen hatten ihre tatarischen Götter, dann kam der Islam zu uns, später das christliche Kreuz. Und alles mit Gewalt, mit Blut, mit Toten, mit Folterungen … man hat uns das Gottbewußtsein in die Hirne eingeschlagen. Bis die große Befreiung kam …«
    »Die sozialistische Revolution. Das ist Ihr Problem.« Shukow klopfte gegen die Scheibe. »Sehen Sie sich das mal an: Unsere Sträflinge kommen zum Einsatz!«
    Vom Zugende wälzte sich eine zusammengeballte dunkle Masse durch den fürchterlichen Regen. Die Soldaten waren ausgeschwärmt, hielten die Maschinenpistolen schußbereit in Hüfthöhe – als ob hier jemandem nach Flucht zumute war! – schrien Kommandos und ihr stereotypes »Dawai! Dawai!« und trieben die Gefangenen am Zug entlang zum Fluß. Die mit ihren leuchtenden gelben Kunststoffplanen vermummten Straßenarbeiter mischten sich unter sie, was nicht im Sinne der Strafordnung war, aber wer konnte hier noch Ordnung halten? Ein anderer Trupp schleppte aus dem Materialwagen große Eisenstangen heran. Auf einem Karren, von dreißig Menschen mit Stricken gezogen – Shukow zählte sie –, grub sich ein schwerer Eisenträger, ein sogenannter Doppel-T-Träger, durch den knietiefen Schlamm hinunter zum Fluß.
    An der Abteiltür klopfte es höflich. Der Zugführer erschien wieder, durchnäßt, um seine Schuhe herum einen kleinen See sammelnd, aber er lächelte zufrieden. Wußte der Teufel, was er an Shukow und der Wuginskaja gefressen hatte – er kam immer in Abständen, um zu berichten.
    »Ein genialer Plan!« sagte er stolz. »Wir bauen, wie in alten Zeiten, eine Seilfähre über die Tjuganja. Drüben ein Eisenträger in die Erde gerammt, hier auch einer, daran das Stahlseil, und an das Stahlseil die Boote. Zum Satan, der Fluß soll uns nicht unterkriegen! Wir setzen über, und von Nowo Sosnowka können

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