Das Doppelspiel
Soll ich ihn mit Fedjunin machen, der sich sonst nur an seinen Leichen berauscht? Schlag mich doch! Oh, warum spüre ich nicht deine Hände?!«
Auch dieser Abend ging vorbei, begleitet vom eintönigen Rauschen des Regens und dem Marschtritt Hunderter von Stiefeln, wenn die letzten Arbeitsbrigaden aus den Steinbrüchen zurückkamen. Eine schwammige Masse Mensch, vom Wasser und von den Felsen, die sie aufhackten, zerstört.
Shukow gelang es immer wieder, die Wuginskaja zu beruhigen. Allerdings mußte er ihr Konzessionen machen … ab dem achten Tag lag sie nackt auf seinem Bett, wenn er nach einigen Schachpartien bei Major Jankow zurückkam in sein Zimmer. Beim erstenmal wollte er sofort den Raum verlassen, aber Valja Johannowna sagte: »Lauf nicht davon wie ein Füchslein vor dem Bär. Ich will nichts mehr von dir. Ich fühle mich nur so wohl.«
»Und du glaubst, ich halte das aus?«
»Das ist dein Problem, Wassja Grigorjewitsch …«
»Und das soll jetzt jeden Abend so sein?«
»Jeden Abend, mein Lieber.« Sie lachte hell, dehnte sich wohlig, und ihr schlanker, weißhäutiger Körper mit dem leichten Umbraton bog sich nach oben, als sei er eine Bogensehne, die gespannt würde. Die Brüste stachen spitz in das gemeine, schutzlose Licht der nackten Glühbirne an der Holzdecke, und der schwarze Keil zwischen ihren Schenkeln bildete das andere Ende der mattschimmernden Brücke. Dann sank ihr Körper wieder zusammen, und die Muskeln entspannten sich.
Shukow schwieg. An diesem ersten Abend setzte er sich ans Fenster, blickte auf den Eingang des Lagers und zwang sich, Valja, zwei Meter hinter sich, zu vergessen. Er dachte intensiv an Dunja, an ihre Finger, die seinen Rücken aufrissen, an ihre spitzen Zähne, die ihn in den Hals und die Brust bissen, an ihre keuchenden Worte, die alle Seligkeit herausschrien, und an ihre stille Demut, wenn sie später ganz ruhig in seinen Armen lag und sich wegträumte in das unendliche Glück.
Warum hat Gott solche Frauen geschaffen? Dunja Andrejewna und Valja Johannowna. Und warum ist das Leben eines Menschen so kurz, wenn Gott schon solche Wunder schenkt?
Einmal fragte Major Jankow: »Was ist eigentlich los mit unserer Ärztin? Sie wird immer wortkarger, sieht blaß aus und blickt einen an, als wenn man vor ihr die Hose öffnet. Und wenn sie Dr. Fedjunin bei der täglichen Selektierung hilft –«
»Was tut sie?« fragte Shukow. Davon wußte er nichts. Tagsüber sah er die Wuginskaja nur selten, weil er sich ›informierte‹, wie er es nannte. Er war oft im Steinbruch, sah den Arbeiten zu und fotografierte mit seinem Hirn in aller Schärfe und unauslöschbar die erschütternden Bilder, die sich ihm boten. Die Qual der halbverhungerten Menschen, die Felsen aufbrechen mußten, die Methoden der Antreiber, die nur ihre Norm als Maßstab gelten ließen, aber kein Mitleid und schon gar nicht Menschlichkeit kannten, und der unheimliche Lebenswille dieser Sträflinge, stärker zu sein als der Steinbruch, stärker als Sibirien, stärker als alles, was auf sie einschlug. Einmal war auch das Lager vorbei, einmal fuhr ein Zug in die Freiheit, einmal stand man wieder irgendwo auf einer Straße, auf einem Platz, in einem Zimmer, ohne hinter sich jemanden mit einer Maschinenpistole zu haben. Einmal sah man Frau und Töchter wieder, Vater und Mutter, den Sohn, den Enkel, dieses ganze geliebte Leben. Da soll einen der Steinbruch zerbrechen?
Nicht anders dachte man am Fluß und im Dorf Nowo Sosnowka.
Auch hier wurde bis zum Umfallen gearbeitet, gegen den Fluß, der nun nach Süden hin überhaupt keine Grenzen mehr hatte und auf der Felsenseite von Sosnowka gegen die Berge raste und gegen einen Wall aus Steinen, Erde und Stämmen, mit denen man die Schlucht abgesperrt hatte. Nowo Sosnowka wäre sonst längst ersoffen.
So kam es, daß Shukow tagsüber von der Wuginskaja wenig wußte. Nun hörte er von Major Jankow, daß sie Dr. Fedjunin im Lagerlazarett half. Das war logisch, sie war ja Ärztin, aber was Shukow störte, war das Wort ›Selektierung‹. Es bedeutete nichts anderes, als die täglichen Krankmeldungen zu kontrollieren und zu entscheiden, wer wirklich krank war oder wer trotzdem in den Steinbruch oder an den Damm mußte.
Von Fedjunin wußte man, daß er die wenigsten Krankmeldungen hatte. Er war stolz auf sein fast unbenutztes Lagerlazarett. Die Unrettbaren lagen sowieso nur einen Tag im Bett, dann wanderten sie auf Fedjunins Sektionstisch. Er führte darüber ein peinlich genaues
Weitere Kostenlose Bücher