Das Doppelspiel
verunsichert. Plötzlich war Orwells Stab weg, wie ins All geschossen. Der Gegner rannte kopflos herum und stieß sich an völlig falschen Informationen wund.
Doch auch Orwell hatte seine Sorgen.
Aus Winniza hatte Bob Miller noch melden können, daß der gefährlichste und beste sowjetische Kollege Andrej Nikolajewitsch Plenjakow das geheimnisvolle Frazertown am Bug verlassen hatte und als John Barryl in die USA einsickern würde. Von da ab hatte man alle Flughäfen überwacht, alle Schiffshäfen, überhaupt jedes Loch, durch das man in die USA hätte schlüpfen können. Alle Dienststellen an der kanadischen und mexikanischen Grenze waren alarmiert worden … doch ein John Barryl tauchte nirgendwo auf.
Orwell behielt seine väterliche Ruhe, aber seine Worte drückten aus, was ihn bedrückte.
»Ich weiß, daß Plenjakow im Lande ist«, sagte er bei der ersten Lagebesprechung in Fort Patmos. Es waren nur vier Offiziere zugegen, die besten, die es noch in Orwells Abteilung gab. Alle anderen waren im Einsatz in Rußland. »Verdammt, ich spüre es wie die Kräuselhaare einer Frau. Er ist hier. Und er etabliert sich seinen Fähigkeiten entsprechend genau dort, wo er uns am gefährlichsten werden kann. Doch was haben wir von ihm? Nur seinen russischen und seinen amerikanischen Namen. Ende. Kein Bild, kein Foto, nicht mal eine Phantomzeichnung. Der einzige, der Barryl beziehungsweise Plenjakow genau kennt, ist Bob. Aber wo ist Bob? Irgendwo auf dem Weg zwischen Jakutsk und Werchokrassnoje. Ich frage mich und Sie, meine Herren: Was ist jetzt wichtiger? Fotos der neuen sowjetischen Interkontinentalraketen-Basis in Sibirien oder die Enttarnung des Agenten Plenjakow? Wo liegt der größere Schaden für unser Land? Werchokrassnoje bleibt … aber Plenjakow bohrt sich in uns hinein und verschwindet schließlich ganz. Mir bleibt keine Wahl. Bob muß zurück! Es gibt nur einen Mann, der Plenjakow kennt … ihn!«
»Und wie wollen Sie Bob erreichen, Sir?« fragte einer der Offiziere.
»Bis Bob aus Rußland heraus ist, hat sich Plenjakow längst etabliert«, sagte ein anderer.
Orwell nickte schwer. Er wußte das alles, es hatte ihm viele schlaflose Nächte gekostet. »Sie sehen mich an wie Kühe, deren Euter Coca-Cola geben«, sagte er mürrisch. »Jungs, ich weiß genau, wie beschissen meine Lage ist. Moskaus intelligentester Mann läuft bei uns frei herum! Weiß der Teufel, wie er ins Land gekommen ist … aber er ist drin. Herbert –«
»Sir?«
Ein Captain nahm die Hacken zusammen. Er ahnte, was ihm von Orwell blühte. Es waren keine Rosen.
»Sie versuchen, über Irkutsk, über Galina Theofilowna im Hotel ›Sibir‹, Bob zu erreichen. Einmal muß er sich ja von irgendwoher melden. Dann gibt es für ihn nur eine Aufgabe, Herbert: sofort zurück in die Staaten! Lassen Sie ihm schonungslos die Wahrheit übermitteln: Plenjakow ist uns aus dem Blick gekommen. Ich brauche Bob Miller!«
Wassili Michailowitsch Jankow mochte zwar ein scharfer Hund sein, der seinen Strafgefangenen jeden Tag vor Augen führte, daß Rußland ein Recht hatte, sie wie Dreck zu behandeln – eines konnte man ihm nicht absprechen: Er hatte die Einsicht behalten, wo die Grenzen menschlicher Leistung liegen.
Hier in Nowo Sosnowka lagen sie ganz einfach auf der Straße. Im wörtlichen Sinne. Der unendliche Regen, der auch nach vier Tagen, nach sechs Tagen, nach acht Tagen ohne Unterbrechung fiel, als verdunste auf der anderen Erdhälfte ein Ozean und regnete sich hier über Sibirien ab, verwandelte das Land in einen einzigen Pudding. Hat schon jemand versucht, mit einem Lastwagen durch einen Pudding zu fahren? Oder mit Schlitten, gezogen von zwanzig Männern, die bis zu den Knien einsinken? Es geht einfach nicht … Man kann Laserstrahlen durch Schlamm schießen, aber man kann weder mit einem Reifen, einer Kufe oder einem Stiefel mehr als hundert Meter sich vorwärtswühlen. Dann gibt man resigniert auf, sagt: »Es ist alles Scheiße, Brüderchen«, kehrt ebenso mühsam, wie man versucht hat, voran zu kommen, ins Haus zurück und legt sich auf den Ofen, um abzuwarten, was die Natur in den nächsten Tagen zu bieten hat. Da sich alles ändert, nichts bleibt wie es war, das Leben ständig wechselt, kann man verstehen, warum ein Russe in die Zeit verliebt ist und warten kann.
Jedes Ereignis hat Grenzen, auch ein sintflutartiger Regen. Also, warum jammern, Genossen? Nach dem Regen kommt der kalte Wind, dann schneit es, friert es, krachen die Bäume im
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