Das Doppelspiel
…«
»Das ist es nicht.« Der Jakute umarmte Shukow wie einen Bruder, und während er ihn auf die Wange küßte, sagte er leise in sein Ohr: »Du hast viele unausgefüllte, aber gestempelte Papiere bei dir. Das Glück verlasse dich nicht … Du bist mein Freund, weil du kein Russe bist.«
Er schlug Shukow auf die Schulter, drehte sich schnell um und lief mit großen Schritten davon zu seinen Pferden.
Es ist schon ein Erlebnis, mit einer pfeifenden und schnaubenden Kleinbahn durch Sibirien zu fahren, immer an der gewaltigen Lena entlang, die hier so breit war, daß man das andere Ufer kaum sehen, sondern nur als schemenhaften Strich am Horizont ahnen konnte. Der wochenlange Regen hatte auch diesen Strom über seine Ufer gedrückt, aber ob hundert Meter breiter oder nicht, was machte das bei der Lena aus? Hier war das Risiko der Überschwemmungen einkalkuliert, aber das sollte sich in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten ändern. Es lagen detaillierte Pläne vor, auch einen so gewaltigen Strom wie die Lena in eine feste Ordnung zu bringen und vor allem die unvorstellbare Kraft ihres Wassers zur Gewinnung von Elektrizität auszunutzen. Pläne für weitere Generationen sibirischer Pioniere – aber ein Russe denkt ja nicht wie ein Europäer in kleinen Zeitabständen, sondern sein Maßstab ist so weit wie das Land, das er beherrscht.
Ein ganz besonderes Erlebnis jedoch ist es, in einem Zug zu reisen, der vollgestopft ist mit freudig erregten Erzarbeitern, die für vierzehn Tage Urlaub nach Jakutsk fahren. Nur wenige waren verheiratet und freuten sich deshalb auf ihre Frau und ihre Kinder. Die meisten waren junge, kräftige Burschen oder Kerle im besten Mannesalter, gegerbt in der Taiga von Hitze und Frost, hungrig nach Weiberhaut und gelocktem Haar. Ein Haufen voll angestauter Kraft, sage ich! Da saßen sie auf den harten Holzbänken, starrten aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Lena und erzählten sich, was sie morgen in Jakutsk anstellen wollten. Wenn man ihnen zuhörte, waren sie bereit, jedes Weibchen zu zerreißen, es so lange zu bereiten, bis es den Geist aufgab, es zu pfählen, bis man selbst mit der Stirn aufschlug, einem an Land geworfenen Karpfen gleich nach Luft schnappte und das Blut wie Hammerschläge durch den Kopf dröhnte.
»Was werden Sie denn machen, Genosse?« fragte ein bulliger Bergmann den still in einer Ecke sitzenden Shukow. Er reichte ihm eine Papyrossa hinüber, holte ein Glas eingelegte Gurken aus seiner Wachstuchtasche und schraubte den Deckel auf. Es waren schöne, grüne, lange Gurken – ein wahrer Genuß, sie anzusehen. Der Kerl griff in das Glas, holte ein besonderes Prachtexemplar heraus und zeigte die Gurke mit einem breiten Grinsen herum. »Die ist noch klein gegen das, was auf Marija wartet!« schrie er begeistert. »Freunde, ich sag' euch: Wenn ich an Marija denke, nehme ich es mit einer Schlangengurke auf!«
Er biß in die Gurke, der Saft spritzte aus seinen Mundwinkeln und lief ihm über das Kinn in das Hemd. Gelächter und Händeklatschen begleiteten ihn.
»Und so saftig bin ich!« brüllte der Bulle. »Genossen, blickt nicht auf meine Hose – ihr könntet Komplexe bekommen!« Er beugte sich zu Shukow hinüber und reichte ihm eine Gurke. »Und Sie, Nachbar? Sie sitzen herum wie einer, den man kastriert hat!«
Shukow nahm die Gurke, aß sie mit drei großen Bissen auf und steckte sich dann die geschenkte Papyrossa an. Ein anderer Arbeiter neben ihm gab ihm Feuer. »Ich freue mich auch«, sagte Shukow. »In Jakutsk warten auf mich vier Frauen –«
»Ha! Welch ein Aufschneider!« brüllte der bullige Gurkenkerl. Er sprang hoch, baute sich vor Shukow auf und holte tief Luft. Sein Brustkorb blähte sich wie ein Ballon, die Beine standen wie Säulen. »Vier Schlitzchen! Schon in das erste fällt er rein und atmet nicht mehr! Wo kommst du her, Genosse? Wir haben dich nie gesehen –«
»Ich bin Ingenieur –«
»Oh, ein feines Herrchen fährt mit uns!« Der Bulle lachte dröhnend. »Natürlich schafft er die vier Weiberchen! Jeden Stoß berechnet er … Freunde, hier sitzt der Genosse mit dem mathematischen Fick!«
Das Abteil schrie vor Lachen. Shukow blickte zu dem Bergmann auf, warf seine Zigarette auf den Boden und trat die Glut aus. Dann beugte er sich vor, riß das Gurkenglas von der Bank und warf es gegen die Tür. Mit einem Klirren zersplitterte es. Die schönen Gurken fielen heraus, und die Gewürzlake, in der sie eingelegt waren, spritzte durch die
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