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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gegend.
    Der Bulle starrte Shukow entgeistert an, begriff anscheinend nicht sofort, daß es jemand gewagt hatte, Hand an seine Gurken zu legen, knirschte dann mit den Zähnen und ballte die riesigen Fäuste.
    »Er ist verrückt!« sagte er heiser. »Genossen, wenn ich ihm auf den Kopf schlage, rutscht sein Hirn bis zum Nabel! Er hat meine Gurken vernichtet …« Plötzlich, mit einer blitzschnellen Bewegung, packte er Shukow an den Rockaufschlägen und riß ihn von der Bank. Sie waren jetzt, wo sie sich gegenüberstanden, gleich groß, nur war der Russe fleischiger und ungebrochen in seiner Kraft. Shukow grinste verhalten. Mein Junge, dachte er. Wenn ich heute noch so im Saft wäre wie damals in Frazertown, als John und ich im Ring standen und uns Normas wegen fast totschlugen, genügte ein Uppercut, und du lägst mit verdrehten Augen in der Ecke. Aber eure Taiga hat mich fertiggemacht. Ich bin nur noch der Schatten des Bob Miller, der damals an der Küste des Schwarzen Meeres in euer Land schlich. »Du kannst Steine fressen und Sand ausscheißen«, hat Orwell einmal zu mir gesagt. Irrtum, Sir Jack! Man kann in der Ausbildung die wahrsten Höllen simulieren … wenn man in der richtigen drin ist, spürt man, wie einem die Knochen zerbrechen, und man kann es nicht mehr verhindern. Ich bin ein schlapper, mieser Kerl geworden, der nur noch einen Wunsch hat: In Jakutsk drei Tage und drei Nächte in einem richtigen Bett zu liegen. Ich weiß jetzt, warum meine Vorgänger in der Taiga verschollen sind. Rußlands bester Schutz ist sein maßloses Land. Ich aber, Sir, komme zurück! Darauf sollten wir stolz sein, auch wenn ich hinterher das Handtuch werfe.
    »Meine schönen Gurken!« sagte der bullige Kerl. »Los! Heb sie auf und friß sie! Du frißt sie bis zum letzten Endchen auf, oder ich schlage sie dir einzeln in den Rachen! Verstehst du mich, Genosse Ingenieur?«
    Im Waggon war es plötzlich still. Der Spaß hatte aufgehört … was jetzt kam, war tödlicher Ernst. Wie konnte er das auch tun, der bleiche Ingenieur – ein Gurkenglas an die Wand werfen! Weiß er überhaupt, was Gurken wert sind in dieser Gegend?
    »Heb sie auf!« knurrte der Bergarbeiter noch einmal und schüttelte Shukow wie einen Mixbecher. »Ich bin in der Stimmung, dich aufzuspießen wie ein Ferkelchen!«
    »Lassen Sie mich los, Genosse«, sagte Shukow sanft. »Ich möchte Ihnen nicht weh tun …«
    »Was sagt er da?« brüllte der Bulle. »Habt ihr das gehört, Freundchen? Er will mir nicht weh tun! Zerstört meine Gürkchen und sagt –«
    »Ich kaufe Ihnen in Jakutsk zehn neue Gläser …«
    »Kaufen? Wer von uns ißt gekaufte Gurken? So kleine, armselige Gurken? Diese Gurken hat Lisa Alexandrowna in ihrem Garten selbst gezogen und eingemacht. Und jedesmal, wenn sie mit einer Gurke kam, eine größer und dicker als die andere, hat sie gesagt: ›Los, Jakowenka, vergleich! Jetzt verlierst du aber bestimmt!‹ Und ich habe nicht verloren, Genosse! So war das. Und diese Gurken wirft er an die Wand! Gurken, mit soviel Liebe und Erinnerung eingemacht!«
    Er ließ Shukow los, stieß ihn gegen die geschlossene Tür des Abteils und holte zu einem gewaltigen Faustschlag aus. Das war ein Fehler, denn wer vorher sieht, daß jemand zuschlagen will, kann sich darauf einstellen. Gefährlich sind nur die Schläge, die man nicht ahnt und nicht kommen sieht. Das ist eine alte Boxerweisheit.
    Shukow duckte sich und stieß die Rechte vor. Er legte sein ganzes Gewicht in diese rechte Gerade, rammte sie dem Dicken genau in die Magengrube und sah mit ehrlichem Erstaunen, wie dem Kerl die Luft einfach wegblieb, wie er eine halbe Drehung machte und dann über die eingeknickten Knie nach vorn auf den Waggonboden krachte. Ein hilfreicher Genosse hielt noch seinen Kopf fest, damit er nicht mit dem Gesicht aufschlug und blutete. Vermeiden ließ es sich aber nicht, daß sein schwerer Körper auf die verstreut herumliegenden Gurken klatschte und sie unter sich zerquetschte.
    Shukow setzte sich wieder, schlug die Beine übereinander und blickte die stummen Mitreisenden freundlich an. Seine treuen Augen, der umflorte Blick, der jedes Mädchen in mehr oder weniger kurzer Zeit in die Rückenlage brachte, wirkte sogar bei diesen harten Männern.
    »Hat jemand eine Papyrossa für mich?« fragte Shukow.
    Sechs zerknüllte Packungen drängten sich ihm entgegen. Er nahm eine Zigarette aus der am wenigsten schmutzigen Schachtel und zündete sie an den vier Streichhölzern an, die ihm

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