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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gegeben und dich dann weiterschlafen lassen.«
    »Ich habe nichts gemerkt.« Er blickte an sich hinunter und fand, daß er sauber gewaschen war. Man hatte ihn wie einen Säugling umsorgt, ihn trockengelegt, wenn er unter sich gemacht hatte, seine Exkremente abgewaschen, und immer wieder mit dem nesselnden Brei eingerieben. So hatte man das Fieber aus ihm herausgetrieben. Neun Tage lang.
    »Wie kann ich Ihnen danken, Genosse?« fragte Shukow.
    Der Jakute lächelte mit seltsamer Starrheit. »Indem du mich nicht Genosse nennst.«
    »Ach so! In Ordnung – ich nenne dich Freund.«
    »Bist du ein Funktionär?«
    »Ich bin ein kleiner Ingenieur, den die große Überschwemmung überrascht hat. Ich muß sofort nach Jakutsk, um mich dort zu melden. Ich habe alles verloren … meinen Wagen, meine Ausrüstung, meine Kameraden. Da bin ich durch die Taiga, immer nach Osten. Wenn du die Lena erreichst, habe ich mir gesagt, bist du gerettet. Und der Wald ernährt dich. Ein Mistwald, lieber Freund. Ich habe kein Tier gesehen, und ich habe die besten Schlingen aufgestellt. Doch, ja … einmal saß ein Hase vor mir, am zehnten Tag, greifbar nahe … sitzt da und sieht mich an, als wüßte er, daß ich zu schwach war, um auch nur die Hand zu heben.«
    Er zog die Beine an und deckte sich wieder zu, weil die alte Frau in die Jurte kam. Sie brachte einen Brei aus Roggenmehl, in dem ein paar Fleischstückchen steckten. Die Schüssel war aus Holz, aus einem Stamm selbst geschnitzt … aber in der Hand trug sie einen ganz modernen Löffel. Edelstahl. Zu kaufen in jedem Warenhaus. Shukow nahm ihr den Löffel ab und hielt ihn dem Jakuten hin. »Wer bringt euch das?« fragte er.
    »Wir holen es uns. Einmal im Jahr reiten wir nach Tas-Tumus. Von dort fährt ein Zug nach Jakutsk.«
    »Ständig?«
    »Zweimal in der Woche.«
    »Ich gebe euch hundert Rubel, wenn ihr mich sofort nach Tas-Tumus bringt.«
    »Zweihundert Rubel.« Der Jakute lächelte unergründlich. »Du hast in deinem Gepäck zweitausenddreihundert Rubel … du siehst, wir sind ehrliche Leute.«
    »Ich gebe euch die dreihundert, wenn wir morgen aufbrechen.«
    »Du bist zu schwach, Wassja Grigorjewitsch …«
    Shukow hob die Schultern. Irgend etwas stimmte hier nicht. »Woher kennst du meinen Namen?« fragte er.
    »Er steht in deinen vielen Papieren.« Der Jakute erhob sich aus seiner Hocke. »Ich habe lesen gelernt. In der Schule von Sangar. Aber es ist keinem gelungen, Russen aus uns zu machen. Es wird nie gelingen. Du bist ein stolzer Russe, nicht wahr?«
    »Im Augenblick bin ich ein erbärmlich nackter Russe, mein Freund.«
    Das änderte sich schnell. Ein anderer, jüngerer Jakute, vielleicht der Sohn, brachte Shukows Kleider. Er zog sie an und bemerkte dabei, daß er mindestens zehn Pfund verloren hatte. Als er aus der Jurte trat, schlug ihm die kalte Luft entgegen wie ein Hammer. Er hielt sich an der Schulter des alten Jakuten fest und schwankte bedrohlich.
    »Wir müssen bis Tas-Tumus vier Tage reiten …«, sagte der Jäger.
    »Ich bin ein guter Reiter.« Shukow zwang sich, allein auf den Beinen zu stehen. Er machte ein paar staksige Schritte, breitete dann die Arme aus und saugte die kalte, reine Luft in sich hinein. Der Himmel war klar, tiefblau und von einem Schimmer Gold überzogen. Der berühmte Himmel von Sibirien, dachte Shukow. Es gibt Menschen, die verlieben sich in diesen Himmel, wie in eine schöne Frau.
    »Ich halte die vier Tage durch!« sagte Shukow laut. »Wann reiten wir?«
    »Wenn du willst, morgen schon.«
    Es wurde ein schwerer Ritt.
    Es dauerte nicht vier Tage, sondern sechs, weil sie an den beiden ersten Tagen weniger zurücklegten, als die Jakuten sonst hinter sich ließen. Shukow biß die Zähne zusammen, hielt sich im Sattel und fiel erst vom Pferd, wenn der Jakute sagte: »Ende des Tages! Ruhe!«
    Die Station Tas-Tumus war ein armseliger Holzbau, und die Eisenbahn entpuppte sich als eine Kleinbahn, die das eisenhaltige Gestein aus einer Erzgrube nach Jakutsk brachte. Ein Personenwagen war immer angehängt für die Arbeiter, die Urlaub bekamen und sich freuten, in der Hauptstadt nicht nur in ein Kino gehen zu können, sondern auch ein Mädchen unter sich zu ziehen. Auf der ganzen langen Fahrt nach Jakutsk sprach keiner von etwas anderem.
    »Leb wohl«, sagte der Jakute, als Shukow die dreihundert Rubel bezahlt und einen Sitzplatz in dem Eisenbahnwagen belegt hatte. »Und sei vorsichtig, mein Freund …«
    »Ich fühle mich wieder stark und gesund

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