Das Doppelspiel
Tigerchen«, würde er sagen, und sie würde die Arme ausbreiten und sich auf ihn fallen lassen, ihn in einer Sekunde erobernd mit ihrem ganzen Körper.
»Du bist verrückt, Bob!« sagte er laut, griff nach der Tequila-Flasche, zog mit den Zähnen den Korken heraus und setzte sie an die Lippen …
Hendrik Gulbrannson hatte alles bis ins letzte vorbereitet, gewissermaßen mit generalstabsmäßiger Perfektion.
Er hatte von Stan Wolter, dem Kantinenpächter, erfahren, daß Norma Taylor heute ins Kino wollte und eine Stunde früher nach Hause ging. Ihr Weg war bereits erkundet worden. Er führte von der Kantine der Abteilung II durch das Tor V und dessen Kontrolle zum Omnibusbahnhof, wo in langer Schlange die Busse auf die Arbeiter warteten. Meistens fuhr Norma mit dem Bus in die Stadt. Das war bequem, ihre Haltestelle lag nur fünfzig Meter von der Drogerie, in der sie wohnte. Es kam aber auch manchmal vor, daß Norma mit einem Moped nach Hause knatterte. Das war ihre erste Neuerwerbung in Los Alamos gewesen. Eine japanische Maschine, 95 ccm stark, Höchstgeschwindigkeit 65 km/h, hellblau lackiert, mit einem Drahtkorb auf dem hinteren Rad, ungemein praktisch für Einkäufe im Supermarkt, an dem sie jeden Tag vorbeikam. John Barryl hatte den Kauf gebilligt, das Moped machte Norma beweglicher. Ein Auto wäre aufgefallen. Ein Girl hinter der Milchmixtheke kann sich keinen Wagen leisten, es sei denn, ein reicher Freund kommt dafür auf. Das aber war bei Norma völlig ausgeschlossen. Seit zwei Tagen gehörte sie sogar der ›Liga für Frauenrechte‹ an. Als das im Atomzentrum bekannt wurde, schlug einer vor, man solle einen Tag lang schwarze Schlipse tragen. Jetzt sei Norma ganz für die Männerwelt verloren.
Gulbrannson hatte aus Stan Wolter herausgelockt, daß Norma heute mit ihrem Moped fahren würde. Darauf hatte er seinen Plan abgestimmt, stand eine halbe Stunde, bevor sie auftauchen mußte, an einer ziemlich unübersichtlichen Stelle der durch kahle Berge führenden Straße. In einer Ausbuchtung hinter einem Dornengebüsch. Die Zeit vertrieb er sich mit Radiomusik und geiler Vorfreude. Als die Zeit gekommen war, die er peinlich genau ausgerechnet hatte, stellte er das Radio ab, ließ den Motor an und beobachtete durch den breiten Rückspiegel die einsame Straße.
Nach fünf Minuten tauchte in der Ferne das schwache Licht des kleinen Mopedscheinwerfers auf. Gulbrannson löschte seine Scheinwerfer, wartete, bis Norma – sie war es wirklich – an ihm vorbeigefahren war und setzte dann mit Schwung auf die Straße. Nach wenigen Metern hatte er sie eingeholt, fuhr eng an sie heran, sah, wie sie schimpfte, die Faust hob und versuchte, auf der Straße zu bleiben – aber Gulbrannson drängte sie so geschickt mit seinem Wagen ab, daß sie schließlich absprang, um nicht gegen die Felsen gedrückt zu werden.
Gulbrannson trat auf die Bremse und sprang aus dem Wagen. Norma Taylor lehnte an der Felswand und atmete heftig. »Sind Sie betrunken?« schrie sie sofort, als sie den im Dunkeln nicht zu erkennenden Mann aus dem Auto steigen sah. »Kommen Sie bloß nicht näher! Ich werfe Ihnen mein Moped an den besoffenen Kopf!«
»Ich wußte gar nicht, daß Sie so ordinär schimpfen können, Norma«, sagte Gulbrannson gemütlich. »Daß Sie zu ungeheurer Wildheit fähig sein würden, war mir klar. Ich habe eine Schwäche für ungezügeltes Temperament.«
Er kam im Schein von Normas Moped näher, groß, schlank, in seiner Maßuniform lockende Eleganz verbreitend. Er hatte seine Mütze nicht aufgesetzt, um die Wirkung seiner blonden Haare voll auszuspielen. Norma erkannte ihn jetzt. Sie lächelte ihn an, aber wer mehr von ihr wußte, der wäre jetzt sehr vorsichtig geworden. Es war ein gefrorenes Lächeln, das Gefahr signalisierte.
»Sie sind es, Hendrik?« sagte sie gedehnt. »Was fällt Ihnen ein, mich so zu erschrecken? Oder haben Sie heute abend wirklich einen zuviel getrunken?«
»Ich bin nüchtern bis auf die Knochen, Norma.« Gulbrannson stand nun vor ihr und war nur noch durch das Moped von ihr getrennt. »Wissen Sie, daß ich wie im Fieber gelebt habe, bis ich diese Idee hatte, Sie allein zu sprechen?«
»Eine ziemlich brutale Idee, Hendrik. Sie hätten mich beinahe am Felsen zerquetscht.«
»Ich bin verrückt nach Ihnen, Norma!«
»Dann wäre es jetzt am besten, Sie fahren nach Hause und stellen sich unter die kalte Dusche.«
»Eine andere Therapie für einen Mann, der an Ihnen zugrunde geht, kennen Sie
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