Das Doppelspiel
lange es dauert, ein Agentennetz aufzubauen. Und dann noch in Los Alamos!«
»Plenjakow hat Zeit. Oder haben Sie in Frazertown etwas von Zeitknappheit gehört?«
»Im Gegenteil. Dort praktiziert man die russische Tugend, warten zu können. So etwas gekoppelt mit amerikanischem Schnelldenken –«
»– ergibt eine verdammt gefährliche Mischung, Bob!« ergänzte Orwell. »Ich könnte mir denken, daß Plenjakow an seinem Einsatzort – es muß ja nicht gerade Los Alamos sein, damit fangen wir nur an – in aller Ruhe wie eine Spinne sein Netz spinnt und dann die kleinen Fliegen fängt. Über sie kommt er an die großen Brummer, bis er mitten in unserer Forschung sitzt, ohne auch nur einen Schritt in das Werk selbst getan zu haben. Ein Plan auf Zeit … und je länger er im Lande ist, um so gründlicher wird er integriert und wächst unsichtbar in uns hinein. Ein Amerikaner unter Amerikanern. Beliebt am Stammtisch, beim Billard, im Spielsalon vor den einarmigen Banditen, im Drugstore, an der Tankstelle, in verschiedenen Vereinen. Und wenn er dann noch heiratet, Kinder kriegt und einer Partei beitritt, ist seine Tarnung so vollkommen, daß nur er selbst sich entlarven kann, indem er sagt: Ich bin Plenjakow, ihr Vollidioten!« Orwell atmete nach diesem Vortrag tief durch. »Bob, nur Sie allein kennen ihn wirklich! Begreifen Sie, was Ihr Wissen für unser Land bedeutet?«
»Ich glaube, Sir, ich habe mich nie dämlich angestellt. Ich soll also zunächst nach Los Alamos?«
»Schlage ich vor. Haben Sie einen anderen Plan?« Orwell warf den Schnellhefter nach hinten auf den Tisch. »Sie brauchen sich mit einer Überprüfung der Angestellten nicht aufzuhalten. Die ist erfolgt, wie gesagt, ohne Ergebnis.«
»Ich werde mir ansehen, was in der Umgebung lebt.« Bob griff nach dem Whiskyglas und sah Orwell treuherzig an. »Darf ich den Rest, Sir?«
»Saufen Sie's weg, Bob. Sie bekommen noch eine Liste aller Militärs, die in Los Alamos arbeiten. Der Sicherheitsoffizier ist Oberleutnant Hendrik Gulbrannson.«
»O Himmel, der schöne Wikinger!« Bob stand auf.
»Sie kennen ihn?«
»Er kam auf die Militärakademie, als ich abging. Genau vier Tage lebten wir noch zusammen in einem Block, da habe ich ihn jämmerlich verdroschen. Er schob sich an Lydia heran. Lydia war Köchin, Sir. Ich laß mir doch einen anständigen Abschied mit Schokoladentorte nicht versauen!«
Orwell schüttelte den Kopf. »Was würden Sie bloß tun, Bob, wenn es plötzlich keine Frauen mehr gäbe?«
»Ich würde mich Gott zur Verfügung stellen, damit er aus meiner Rippe eine neue Frau schafft.«
»Das mit der Rippe paßt genau, Bob!« Orwell lachte mit viel väterlicher Güte. »Heute mittag gibt es gebratene Rippchen mit Wirsingkohl. Die Einzelheiten Ihres Einsatzes besprechen wir nach dem Essen.«
Am Abend noch brachte ein Hubschrauber Bob Miller nach Albuquerque am Rio Grande. Los Alamos, am Rande der San-Juan-Berge, war nur noch 150 Kilometer entfernt. Dazwischen lag das einsame, von der Sonne ausgeglühte, aus rotgelben Felsen und rotem Sand bestehende Hochland von New Mexiko. Eine Gegend, so einsam wie die Taiga. Nur war die Taiga mit ihren wogenden Wäldern schöner … hier im Süden der USA gab es nur nackte Berge, Kakteenfelder im Wüstensand, staubige Trockenheit, hitzeflimmernde Einsamkeit und ab und zu einen Sandsturm, der das ganze Land in rote Nebel hüllte.
In der Nacht stand Bob Miller am Fenster seines Zimmers in der Kaserne von Albuquerque. Sie war an den Stadtrand gebaut und damit schon umweht von der Stille der Wüste. Offizierskameraden hatten Bob zwei Flaschen mexikanischen Tequila mitgegeben. Zur Einstimmung, wie sie sagten. Bob hatte sich bedankt, aber noch keinen Tropfen des höllisch scharfen Schnapses getrunken.
Wie wird es sein, wenn ich wirklich Andrej Nikolajewitsch treffe, dachte er. Wird unsere Freundschaft halten und kann ich ihn überreden, alles hinzuwerfen und um politisches Asyl zu bitten … oder bricht zwischen uns eine Feindschaft aus, die nur einer von uns überleben kann?
Er zog die Schultern hoch und schloß das Fenster. Von der Wüste her wehte es kalt ins Zimmer.
Bob legte sich, angezogen wie er war, aufs Bett und schob die Hände unter seinen Kopf. Eine plötzliche ungeheure Sehnsucht nach Dunja Andrejewna fing ihn völlig ein. Es war ihm, als sei sie im Zimmer, nebenan im Bad, duschte sich und würde gleich zu ihm kommen, auf der Haut noch die Wassertropfen wie Perlen auf weißem Samt.
»Mein
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