Das Doppelspiel
Aktendeckel: ›Freigegeben‹. Das bedeutete: Der Genosse Gawril Saweliwitsch Gordejew konnte beerdigt werden.
Aus dem Magazin des Bürgermeisters rollte ein Sarg ins Hospital. Das gab es nämlich in Frazertown nicht: ein Beerdigungsinstitut! Eine der bestausgestatteten Branchen der USA hatte man aus der Perfektion der Nachbildungen gestrichen. Das war bedauerlich, denn was ein amerikanisches Beerdigungsinstitut für die letzten überirdischen Tage eines Toten alles zu organisieren vermag, stößt tief in das Kulturbewußtsein des Menschen hinein und verschafft den Hinterbliebenen das stolze Gefühl, dem im wahrsten Sinne ›teuren‹ Verblichenen einen zu Herzen gehenden Abgang verschafft zu haben. Vom polierten Mahagonisarg mit schwellenden Brokatkissen (auf Wunsch auch französische Antikseide), eingebautem, batteriebetriebenem, sechs Wochen arbeitendem Duftspender (Duftnote frei wählbar von Lavendel bis Veilchen) bis zum Palmenwedel schwenkenden Trauerzug (ab 10 Personen, dann unbegrenzte Teilnehmerzahl, es gab ja genug Arbeitslose, die gern pro Begräbnis zwei Dollar kassierten), der – zum Entzücken der Hinterbliebenen – fast dem Triumphmarsch aus Aida glich, gab es nichts, was ein amerikanisches Beerdigungsinstitut nicht möglich machen konnte. Es war ein sehr geachteter Berufszweig.
Frazertown mußte darauf verzichten, aber man lehrte es in den Schulungsvorträgen und zeigte zum Ergötzen der Russen Farbfilme von amerikanischen Begräbnissen. Es gab in Frazertown zwar einen Friedhof mit ergreifenden kitschigen Grabdenkmälern amerikanischer Totenverehrung, aber – und das war wieder typisch für diese Stadt – es lag kein einziger Toter unter den zum Teil pompösen Marmorgebilden.
Wer in Frazertown starb – es starb höchst selten jemand –, wurde nach Freigabe seiner Leiche durch den Bürgermeister abtransportiert. Ein Beerdigungsinstitut war deshalb sinnlos. Der einfache Holzsarg wurde auf einen Militärlastwagen verladen, nachdem man ihn zur dritten, der innersten Sperre gebracht hatte, denn dort hörte Frazertown auf und Rußland begann wieder. Meistens gaben die besten Freunde das Geleit bis zur Wachkompanie, zum großen Spaß der Soldaten, denn für sie, die sie nie in die geheimnisvolle Stadt kamen, war die amerikanische Kleidung der zum Sondereinsatz abkommandierten Genossen eine Art Kostüm, das in der sowjetischen Umgebung ziemlich lächerlich wirkte. Sie kamen nur leider höchst selten in den Genuß. In den vergangenen zwölf Jahren waren in Frazertown sechs Menschen gestorben. Alle durch Unfall. Gordejew war der siebte. Er hätte es bestimmt nicht als Glückszahl angesehen.
Der Sarg mit Gawril Saweliwitsch erhielt allerdings kein Geleit, denn dann wäre ganz Frazertown mitgegangen. Ein von allen geliebter Genosse. Nur Bürgermeister Bulder, der Polizeileutnant und Dr. Dronow begleiteten den Sarg, den man unter das Verdeck des Lastwagens geschoben hatte. Die Todesbescheinigung und die Obduktionspapiere reisten mit dem Toten.
Bob Miller und John Barryl standen am Fenster von Billys Hamburger-Restaurant, als man den Sarg auflud und der Militärlastwagen abfuhr. Norma wollte den Abtransport Fultons nicht sehen. Sie putzte mit verschlossener Miene die Zapfhähne in der Chromsäule.
»Wo kommt er jetzt hin?« fragte Bob und gab seiner Stimme einen gedämpften Trauerklang. Barryl wischte sich über die Augen. Auch er hatte Fulton gern gemocht. Er war ein fabelhafter Boxlehrer gewesen.
»Zufällig weiß ich es«, sagte er. »Ich war bei Bulder, wegen der dummen Beobachtungen, weißt du. In Winniza müssen sie völlig verrückt spielen … vier Peilwagen fahren herum, alle Straßen sind gesperrt, die Miliz guckt den Frauchen sogar unter die Röcke. Die reinste Hysterie! Am Sonnabend haben sie sogar die Einkaufstaschen kontrolliert.«
Bob Miller blickte unbeteiligt aus dem Fenster. Ihn schien der tote Fulton mehr zu interessieren. »Und wo kommt er hin?«
»Nach Odessa. Auf den Heldenfriedhof. Neben die im Vaterländischen Krieg gefallenen Kameraden.«
»Das gönne ich ihm«, sagte Miller ruhig. »Das hat Gawril Saweliwitsch verdient. Er ist im Dienst gestorben, muß man bedenken …«
»Du bist ein wunderbarer Freund«, sagte John Barryl voll überquellender Herzlichkeit. Er umarmte Bob und küßte ihn auf die Wangen. »Wenn wir doch mehr solche Männer in Rußland hätten wie dich …«
Bob Miller wandte sich ab und setzte sich mit dem Rücken zum Fenster. Der Lastwagen mit Fultons
Weitere Kostenlose Bücher