Das Doppelspiel
legte ein Tempo hin, als seien auch die Uhrzeiten im Soll eingeplant.
Bob preßte Knie und Rücken gegen die Tonnenwand und versuchte, die Stöße aufzufangen. Das Atmen durch die Maske war beschwerlich, der Plastiksack, in dem sein Transistorradio steckte und den er zwischen seine Beine gepreßt hatte, drückte schmerzhaft gegen seine Hoden. Bei jedem Schlagloch war es, als pralle eine Faust gegen seinen Unterleib. Aber es war unmöglich, den Plastiksack woanders hinzuschieben.
Endlich war die Fahrt zu Ende. Die Tonnen wurden abgeladen, in den Schuppen gerollt und abgestellt. Dann quietschte etwas schauerlich … ein Schiebetor mit verrosteten Rädern, dachte Bob … und ein Mann, anscheinend der Vorarbeiter der Mastküche, ging von Tonne zu Tonne und schlug mit einem Stäbchen gegen das Blech.
»Dreiundvierzig, Genossen«, sagte eine Stimme. »Zwölf weniger als das letzte Mal. Wird weniger gefressen? Oder machen sie jetzt aus allem Krautsoljanka? Vergessen alle, daß auch die Ferkelchen leben wollen.«
Bob hörte, wie derbe Stiefelschritte sich entfernten. Er drehte das Handgelenk und blickte auf die Leuchtzeiger seiner Uhr. Kurz vor Mittag. Er wartete noch eine halbe Stunde, schob sich dann hoch, stieß die Essenreste über seinem Kopf vorsichtig nach oben und drückte mit seinem Schädel den Deckel der Tonne auf. Ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter. Die Speisereste quollen über den Rand und klatschten auf den Zementboden. Er hatte den Kopf endlich frei, konnte über den Tonnenrand blicken und riß sich die Atemmaske vom Gesicht. Die Luft, obgleich angefüllt mit dem Gestank gegorener Abfälle, schien ihm in diesem Augenblick so köstlich wie die reine Luft in den Rocky Mountains. Er blickte sich nach allen Seiten um, sah sich in einem Wald von Tonnen stehen und kletterte ins Freie. Seine Gelenke und Muskeln waren wie betäubt … er legte sich auf die Tonnen, die dicht an dicht standen, streckte Arme und Beine in die Höhe und stieß mit ihnen nach oben, so wie ein Maikäfer Luft einpumpt, ehe er zu fliegen beginnt.
Erst als er merkte, daß ihm seine Muskeln wieder gehorchten, nahm er seinen wertvollen Plastikbeutel in die Hand und ging über die Tonnen, sprang an der Einfahrt auf den Boden und suchte ein Versteck. Es war eine große Lagerhalle, in der nicht nur Abfalltonnen standen, sondern auch unbrauchbare, verrostete Maschinen und verrottete Traktoren, deren Reparatur sich nicht mehr lohnte, aber die man trotzdem aufbewahrte, weil auf einer Sowchose jede Schraube Staatsbesitz ist und eine Vernichtung – selbst bei stärkstem Rostanfall – als Sabotage ausgelegt werden konnte. Es kam ganz auf den Genossen Natschalnik an.
Bob Miller entschied sich, bis zur Nacht unter dem hintersten Traktor Quartier zu beziehen. Er war gut geschützt, alte Bretter und Kistenreste stapelten sich davor und hielten jeden ab, in diese Ecke vorzudringen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Hier verkroch sich Bob und wartete auf die Dunkelheit.
Ein paarmal kamen Sowchosenarbeiter in den Schuppen und rollten etwas weg oder dazu, aber sonst war es angenehm still und kühl. Auch an den Gärgestank konnte man sich gewöhnen. Bob schloß die Augen und dachte intensiv an Dunja. Wie würde sie die erste Nacht allein ertragen? Ihm fiel plötzlich ein, daß er die Makarov bei ihr gelassen hatte, und Angst kroch in ihm hoch. Tue es nicht, Dunja, dachte er – und wenn es das gibt, daß Gedanken über weite Entfernungen hinweg körperlich spürbar werden, dann mußte sie es jetzt in sich spüren. Ich hole dich zu mir, wenn ich Sibirien überlebe. Ich schwöre es dir. Es ist mein letzter Auftrag. Ich nehme meinen Abschied, und irgendwo auf dieser Welt wird sich ein Platz finden, wo wir ein Leben führen in einem eigenen kleinen Paradies. Wie das klingt! Wußtest du nicht, Dunja, daß ich ein Romantiker bin? Ein Romantiker mit dem härtesten Job dieser Menschheit. Dunja, leg die Makarov weg … nur noch ein paar Fotos von eurer verdammten neuen Raketenbasis am Fluß Lindya – dann suche ich dich. Sei eine gute Russin … warte, warte …
Das Licht vor den trüben Drahtglasfenstern der Halle verblich langsam, die Dunkelheit schwamm herein, auf der Sowchose tutete eine Dampfhupe das Schichtende ein. Bob hörte Lastwagen anfahren, das typische Knattern von Traktoren, aber in den Schuppen kam niemand mehr. Dann erstarb auch der letzte Laut, die Wache bezog ihr Zimmer neben dem Verwaltungsgebäude. Eine der herrlichen warmen Nächte
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