Das Doppelspiel
Vaterland! Müllabfahren ist eine ehrenvolle Sache.«
Bob zog den Kopf ein, als man seine Tonne ergriff. Sie wurde schräg gestellt und dann auf dem Bodenrand weggerollt. Am Wagen griffen zwei Mann in die Henkel und wuchteten sie auf die Ladefläche. Sie schwankte etwas, stieß gegen die anderen Tonnen und stand dann fest.
Norma stand im Hof von Billys Restaurant und starrte der Tonne nach. Als die Ladeklappe zugeworfen und verhakt wurde, preßte sie die Fäuste gegen ihre Brust und drückte den Schrei zurück, der in ihr aufstieg.
Jetzt, in diesem Augenblick, wo der Lastwagen anfuhr, und die Tonne leicht schwankend aus ihrem Blick verschwand, wußte sie, daß sie Bob nie wiedersehen würde, daß es nie eine Wiederkehr gab, nicht einen Funken Hoffnung auf eine Zukunft. Ein Kapitel ihres Lebens war abgeschlossen und wurde als stinkender Abfall weggefahren. Was übrigblieb war das Leben der sowjetischen Agentin Norma Taylor, beim KGB geführt als Oberleutnant Dunja Andrejewna Koroljow, eine Präzisionsmaschine mit menschlichem Körper. Irgendwann schickte man sie nach Amerika. Wie John Barryl. Zur Ehre der Sowjetunion. Für den Sieg der Weltrevolution.
Sie lehnte sich an die Hofwand und blickte dem Wagen nach, der hinüberfuhr zum Supermarkt, der letzten Station, bevor er Frazertown verließ. Ich will nicht mehr leben, dachte sie. O Himmel, wozu soll ich noch leben? Dieser Abschied ist endgültig. Bob, ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr! Ich bin zerstört … und Trümmer ebnet man ein. Sie ging mit schleppenden Schritten in das Restaurant zurück und prallte vor der Theke auf den Gast, der noch immer auf seinen Kaffee wartete.
»Norma, wenn Sie den Kaffee erst aus Brasilien oder Kolumbien importieren müssen, sagen Sie's mir«, meinte der Gast. »Ich komme dann in drei Monaten wieder.«
Sie fuhr herum, ihre schwarzen Augen glühten. »Es geht schneller!« schrie sie geradezu hysterisch. »Ich schlage Ihnen in zwei Sekunden den Schädel ein.«
Es war offensichtlich, daß der Gast darauf keinen Wert legte. Er hatte eine Tasse Kaffee bestellt und keinen gespaltenen Kopf. Das ist ein großer Unterschied. Er wich deshalb betroffen zurück und sah hilfesuchend Billy Rampler an, der aus der Küche stürzte, an den Händen frisch angerührtes Hackfleisch.
»Was ist los, Norma?« rief er. »Mädchen, ich kann alles ertragen, nur nicht hysterische Weiber. Du kannst keinen von uns dafür verantwortlich machen, daß man dir John Barryl aus dem Bett holte.«
»Ihr ekelt mich an. Ihr alle, alle!« schrie Norma zurück. »Ich gehe nach Hause. Ich bin krank. Billy, sag keinen Ton, sonst hast du kein Glas mehr im Schrank.«
Sie warf die Schürze weg, so geschickt, daß sie Rampler auf den Kopf flog, und rannte aus dem Restaurant. Vom Supermarkt fuhr der Müllwagen gerade weg, hinauf zu der Ausfallstraße, die zur dritten Sperre führte.
Sie blieb auf dem Uferplatz stehen, darauf wartend, daß sie jetzt das Aussetzen ihres Herzens spürte und tot umfallen würde. Sie hob die Hand und winkte ganz kurz dem Wagen mit den Abfalltonnen zu … dann umklammerte sie einen Laternenmast, legte die Stirn gegen das Stahlrohr und begriff nicht, warum ihr Herz immer noch weiterschlug, ihre Lungen weiteratmeten, ihr Ohr hörte und ihre Zunge die Tränen schmeckte, die ihr in den Mund liefen.
Später lag sie auf dem Bett ihres Apartments, leer vom Weinen, erschöpft vom Schmerz und streichelte neben sich die Makarov-Pistole, die sie von Bob mitgenommen hatte.
Sie war geladen und entsichert …
Die Fahrt in die Freiheit war auch in der stinkenden Abfalltonne genau zu verfolgen.
Bob Miller erlebte seinen Abtransport mit wachsender Freude, denn jede Weiterfahrt nach einem Halt bedeutete, die Unüberwindlichkeit Frazertowns zum zweiten Male durchbrochen zu haben. Er zählte mit: Sperre Nummer III. Wechsel der Fahrer. Sperre II, nur ein paar Zurufe. Sperre I, das große Einfahrtstor. Übernahme der Lastwagen durch die Müllmänner von Winniza. Lautes Lachen. Keinerlei Kontrollen. Was Bob befürchtet hatte, trotz Dunjas Dementi, geschah nicht. Man öffnete weder die Deckel der Tonnen noch stach man mit einem Bajonett hinein. Da war man in Alaska, in Smolenska, genauer gewesen. Da wurden auch die Küchenabfälle direkt an Ort und Stelle in Spezialwagen zermalmt.
Die Fahrt zur Sowchose. Die typischen russischen Landstraßen, holprig, ohne feste Decke. Die Tonnen tanzten auf der Ladefläche, stießen aneinander, und der russische Fahrer
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