Das Doppelspiel
hartes Gesicht, und Shukow hütete sich, jetzt etwas zu sagen. Er stand auf, drehte das Radio so, daß der Klang voll zu ihnen kam, und kehrte zum Sessel zurück.
»In Jakutsk soll ich ebenfalls Kontakt bekommen«, sagte er.
»Das ist geändert. In Jakutsk sind Sie allein.«
»Und woher bekomme ich neue Weisungen?«
»Es gibt keine neuen Weisungen.«
»Aber wir hatten doch einen V-Mann in Jakutsk.«
»Wir hatten –«
»Aufgeflogen?«
»Unfall. Ein dummes Schicksal. Kein politisches.« Galina Theofilowna öffnete ihre Bluse. Interessiert sah Shukow zu. Jetzt verstand er auch, warum ihre Brüste so hart gewesen waren. Die Schalen des Halters waren zwei Taschen … in ihnen lagen die Papiere, die für Shukow bestimmt waren. »Der Kerl läßt sich überfahren, als sei er ein blinder Hund! Was sagen Sie dazu?«
»Sie tragen einen der interessantesten Tresore mit sich herum. Aber was tun Sie, wenn Ihnen ein begeisterter Busenfreund in die Bluse greift?«
»Das wagt niemand.« Sie legte die Papiere auf den kleinen runden Tisch. Ihre Bluse war noch offen, als sie sich vorbeugte. »Überzeugen Sie sich – es fehlt nichts.«
»Es fehlt wirklich nichts!« antwortete Shukow und betrachtete ihre Brüste.
»Die Papiere!« sagte sie streng. »Ihr Paß. Der Anstellungsvertrag. Eine Bescheinigung der Projektleitung Werchokrassnoje. Der Schlüssel zu einem Zimmer in der Derschersskaja neunzehn, hier in Irkutsk. Dort finden Sie alles, was Sie brauchen. Zivilkleider, Unterwäsche, Fachliteratur, Pyjama, Bademantel, Rasierzeug. Das Zimmer müssen Sie allein betreten, ich darf dort nicht gesehen werden.«
»Aber Hotelgäste dürfen Sie in ihren Zimmern besuchen?«
»Ich habe Ihnen auf Wunsch neues Rasierwasser gebracht.« Sie griff in die Rocktasche und stellte eine Flasche mit einer grünen Flüssigkeit neben die Papiere.
»Schade!« sagte Shukow.
»Was ist schade.«
»Daß Sie es aus der Rocktasche und nicht auch aus dem BH geholt haben! Es hätte eine viel prickelndere, stimulierendere Wirkung gehabt.«
»Ich weiß nicht, ob man mit Ihnen den richtigen Mann geschickt hat«, sagte Galina Theofilowna. »Sie sind der erste, der mir nicht gefällt.«
»Wie viele amerikanische Agenten haben Sie schon kennengelernt?«
»Bisher vier.«
»Und wo sind sie?«
»In Sibirien, verschollen.«
»Sehen Sie, Galinanka, das ist der Unterschied.« Shukow umfaßte plötzlich ihren Kopf und küßte sie. Sie war so verblüfft, daß sie sich nicht wehrte. »Ich werde nicht verschollen bleiben … ich komme wieder!«
Es stimmte alles. In dem Zimmer des Hauses 19 der Derschersskaja, das er am nächsten Morgen aufsuchte, lag alles, was für den Ingenieur Wassja Grigorjewitsch Shukow nötig war. Man brauchte nur die Uniform auszuziehen und in die Zivilkleider zu steigen, um ein anderer Mensch zu werden.
Shukow packte aus seinem Offizierskoffer nur noch das kleine Transistorgerät aus, diesen raffinierten Minisender, der Kapitän Slobin in Winniza fast um den Verstand gebracht hatte. Alles andere ließ er im Zimmer zurück und steckte es in den Koffer. Die Uniform, die Ausweise, die Stiefel und auch die Pistole. Bei ihr zögerte er, aber da es unüblich ist, daß ein Ingenieur für Hochfrequenztechnik mit einer schweren Armeepistole in die Taiga fährt, trennte er sich doch schweren Herzens von ihr. Was er mitnahm, war selbstverständlich die kleine Giftkapsel. In einem kleinen ledernen Brustbeutel hängte er sie sich um den Hals.
Dann wartete er in dem leeren Zimmer bis eine Stunde vor dem Abflug seiner Maschine. Er dachte an Galina Theofilowna und an ihren langen Blick, als er vorhin zum Abschied an ihrem Parfümeriepavillon in der Hotelhalle vorbeigekommen war. Sie verkaufte gerade einen Lippenstift an eine Kaukasierin und hatte auf dem linken Handrücken sechs verschieden rote Farbproben aufgemalt.
»Oh, Sie sind beschäftigt!« hatte er gesagt. »Ich wollte Ihnen nur sagen: Ihr Rasierwasser ist köstlich. Ich komme später wieder.« Und – etwas betonend, er sah, daß sie ihn verstand – sagte er nochmals: »Ich komme wieder!«
Ihr Blick verfolgte ihn, bis er auf die Straße trat. Sie glaubt es nicht, hatte er gedacht. So hat sie viermal einem Kollegen von mir nachgeblickt, und die Kerle sind in der Taiga umgekommen. Auch mir gibt sie keine Chance. Es muß für sie schrecklich sein, immer nur Männer verabschieden zu müssen, die fast schon tot sind, ohne es zu wissen. Die letzte Station vor dem Ende: eine schöne, junge Frau,
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