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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in Irkutsk landeten, war es schon Nacht. Nur eine kurze Strecke, der Flug über den Baikalsee mit den Lichterketten an seinem Ufer, die übergingen in das jetzt schwarze Gewoge der riesigen Wälder, vermittelte Shukow das Gefühl, jetzt in Sibirien zu sein. Im Herzen des ›Jungfräulichen Landes‹, wie der Russe es zärtlich nennt.
    Vom Flughafen brachte wieder ein Taxi den Major Shukow in das Hotel ›Sibir‹. Es lag in der Lenin-Straße, mitten in der Stadt, ein moderner Bau, in dessen großer Halle sich ein buntes Völkergemisch versammelt hatte. An der Rezeption tat man so, als habe man ihn erwartet. Ein Hotelboy stürzte auf ihn zu und nahm ihm den Koffer ab.
    »Sie sind sicherlich der Genosse Major Shukow?« sagte der Mann am Empfang und strich in der Vorbestellungsliste einen Namen durch. »Willkommen in Irkutsk.«
    Shukow warf einen schnellen Blick in das Reservierungsbuch und sah tatsächlich seinen Namen. Das hätte gefährlich werden können, dachte er. Bei aller Achtung vor der perfekten Organisation des CIA … allzu perfekt kann auch leichtsinnig sein. Was wäre passiert, wenn ich Irkutsk nicht erreicht hätte?
    »Ich bin angemeldet?« fragte Shukow leichthin. »Für wie lange?«
    »Für die nächsten drei Tage. Heute war der erste. Sie haben Zimmer neunzehn, Genosse Major.«
    Zimmer 19 war ein großer Raum mit einer Duschkabine und zwei Fenstern zur Straße. Es war spärlich möbliert, aber sauber, und besaß sogar ein Telefon und einen Radioapparat. Shukow wartete, bis der Hotelboy gegangen war, knöpfte dann seine Uniformjacke auf und warf sich in einen der drei Polstersessel, die um einen kleinen runden Tisch vor dem Bett standen.
    Irkutsk, dachte er. Mach die Augen zu, Bob, und hör dir an, was General Orwell fragt.
    Er legte den Kopf nach hinten auf die Rückenlehne und schloß die Augen. Irkutsk, 450 Meter hoch über dem Meeresspiegel. Liegt am Fluß Angara, dem Abfluß des Baikalsees. Kurze, heiße Sommer, lange, harte Winter. Temperaturen bis minus 50 Grad. Im Winter wird auf dem Markt die Milch in gefrorenen Blöcken verkauft. 500.000 Einwohner. Eine berühmte Universität, ein gutes Theater, ein sehr gutes Opernhaus, alles im klassizistischen Stil gebaut, mit Giebeln und Säulen. Das größte Sportstadion des Fernen Ostens. Breite Avenuen, viele Parks, Gärten und Blumenbeete. Eine schöne Stadt, über 350 Jahre alt. Vom Bojaren Iwan Pochabow als Winterquartier für seine Sibirien durchstreifenden Kosaken gegründet. Die einzige russische Stadt, die ein Weißes Haus – das Belyj Dom – hat, genau wie in Washington, gebaut in klassischer Manier, mit hochragenden korinthischen Säulen. Jetzt ist die Universitätsbibliothek darin untergebracht.
    Shukow lächelte mit geschlossenen Augen. Vor ihm breitete sich der Stadtplan von Irkutsk aus, als sei es der Plan der Kleinstadt Heastfield, in der er geboren worden war und wo er jede Straßenecke kannte. Mit Irkutsk war es genauso, und ebenso mit Kiew, Charkow, Moskau, Leningrad, Jakutsk, Perm, Smolenks, Swerdlowsk, Alma Ata, Wladiwostok, Chabarowsk, Gorkij … wie aus einem Computer konnte er die Städte abrufen und wußte genau, wo er war, wohin er gehen mußte, wie alles aussah. Dazu hatte man in Alaska immer wieder Filme angesehen und zusammen mit den Stadtplänen durchgesprochen, monatelang, bis sie einem zum Hals heraushingen, als müsse man immer Nudeln essen. Aber dann kannte man sich aus. Man war kein Fremder mehr.
    »Die kleinste Unsicherheit kann euch das Leben kosten«, hatte General Orwell gesagt, wenn sie murrten über die Sturheit dieses Einpaukens. »Wenn einer von euch ein Russe sein muß, geboren in Rostow am Don, dann muß er Rostow kennen, wenigstens so genau wie die Brustwarzen seiner Braut Mabel.«
    Das war einleuchtend und kommentarlos überzeugend.
    Shukow schrak hoch. An der Tür klopfte es höflich. Er sprang auf, knöpfte seinen Uniformrock zu und rief: »Nur herein!«
    Eine junge Frau kam ins Zimmer, nickte ihm zu, ging an ihm vorbei zum Radio, stellte es an, drehte den Ton ziemlich laut und zeigte stumm mit der Hand auf den Sessel. Shukow setzte sich wieder und musterte seinen Besuch. Sie konnte Mitte Dreißig sein. Kurzgeschnittenes, mittelbraunes Haar, im Nacken gelockt. Ein rundliches Gesicht. Gute, ein wenig mollige Figur. Dafür erstaunlich schlanke, lange Beine. Das Baumwollkleid, blaugrundig mit weißen Tupfen, war aus einem sowjetischen Kaufhaus. Ohne Gürtel wäre es wie ein Sack, aber mit Gürtel

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