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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die einsam Rache nehmen will und sich doch nie rächen kann.
    Der Flug nach Jakutsk zeigte schon den Unterschied zu anderen Flügen. Die Reisenden waren verschlossener, waren von der Natur gegerbte Leute, einfach angezogen, mit Bündeln statt Koffern und großen Handtaschen. Gewiß, Jakutsk war eine große, moderne Stadt, wie alles in Sibirien während der letzten Jahre sein Gesicht gewandelt hatte. Sagte man früher: Lena … Wiljuj … Lindya … Olenek … dann war das ein ausgesprochenes Abenteuer, bei dem man an Goldflüsse dachte, an Schwemmsand, in dem Diamanten schimmern sollten, an Wälder voller Pelztiere, einsamste Straflager und Wolfsrudel, die im strengen Winter die Dörfer belagerten und sich durch den Schnee bis an die Haustüren gruben. Und Jakutsk, das war der Ausgangspunkt in dieses wilde Land, der Treffpunkt der Abenteurer und Idealisten, die lange brauchten, bis sie sagten: Auch in Jakutsk kann man leben wie in Moskau und Leningrad. Vielleicht ein bißchen kälter, aber weiter weg vom Kreml. In Jakutsk ist vieles lockerer … hier kämpft man nicht um Ideologien, hier stemmt man sich gegen die Natur. Da ist die Welt, gleich vor der Haustür, noch im Urzustand. Hier ist der Mensch noch das, wie es in der Bibel steht: und ›Er‹ schuf den Menschen nach ›Seinem‹ Bild –
    Vier Stunden später landeten sie in Jakutsk.
    Wassja Grigorjewitsch Shukow wartete bei der Gepäckausgabe auf seinen Koffer und fuhr dann mit einer Straßenbahn, die wie immer in Rußland überfüllt war, in die Stadt. Hier war der Sommer schon vorüber. Es war kälter, als er erwartet hatte, und er lobte im stillen Galina Theofilowna, daß sie ihm einen warmen Mantel ins Zimmer gelegt hatte. Der Himmel war grau und verhangen und schon schwer von Feuchtigkeit. Es roch nach einer herbstlichen Wasserflut, die nach dem ersten kalten Wind in ein unaufhörliches Schneien übergehen würde, bis der unvorstellbare Frost auch das unterband und nur noch Kälte unter einem unendlichen Himmel das Leben bestimmte.
    Shukow stieg vor dem Haus des technischen Zentralbüros aus der Straßenbahn, meldete sich, durchlief sieben Zimmer mit hartnäckigen, fleißigen, aber anscheinend doch sehr gelangweilten Beamten, was ihn lebhaft an Washington erinnerte, füllte eine Menge Formulare aus, bekam von jedem Beamten einen Stempel auf sein Zuteilungsschreiben gesetzt, was ein fröhliches Bild ergab, landete schließlich nach drei Stunden bei dem Beamten, der entscheiden konnte, und der sagte zu ihm:
    »Mein lieber Wassja Grigorjewitsch, wir begrüßen Sie. Ich sehe, es hat alles geklappt. Die Papiere sind in Ordnung.«
    »Nach drei Stunden bei sieben verschiedenen Stellen!«
    »Das ist Olympia-, ja Weltrekord!« lachte der Genosse Abteilungsleiter. »Drei Stunden? Sie sind ein Genie! Na, bei dem Namen Shukow! Es gibt Genossen, die brauchen dafür eine Woche. Nach Werchokrassnoje also! Es gibt da zwei Möglichkeiten: Hubschrauber, aber die sind nur für die wichtigen Transporte, und so wichtig sind Sie nicht, Wassja Grigorjewitsch. Haha! Bleibt also die Materialbahn. Sie geht bis Ottokh. Von diesem Ort – Sie werden den Namen noch einmal ausspucken, mein Lieber – müssen Sie weiter mit Lastkraftwagen. Wenn Sie es allerdings gewöhnt sind, mit einem Wolga bis zu Ihrem Büro gefahren zu werden … dann kehren Sie sofort um! Hinter Ottokh beginnt das, was die Jakuten den ›Ewigen Frieden‹ nennen. Oder ›Das göttliche Schweigen.‹ Merken Sie was, Shukow? Aber in zwei Jahren sieht es dort schon anders aus! Dafür sind Sie ja hier. Und den Gefangenen in unseren Straflagern wird nichts geschenkt …«
    »Sie haben Verurteilte hier?« fragte Shukow leichthin.
    »Eine Menge. Das wird Ihr Arbeiterpotential sein, Genosse. Wie ich sehe, wird man Ihnen zwei Arbeitsbrigaden unterstellen, die bei Werchokrassnoje neue Fundamente anlegen. Und einen Militärflugplatz.«
    »Ich bin Elektroingenieur, Genosse, kein Tiefbaufachmann«, sagte Shukow höflich. »Ich dachte, ich sollte in den Leitstellen –«
    »Hat man Ihnen das in Moskau gesagt? Tatsächlich? Welch witzige Leute sind das doch!« Der Abteilungsleiter war ein wirklich vergnügter Mensch. Er schob Shukow eine Blechdose mit Zigaretten hin, griff unter den Schreibtisch und holte eine Flasche Wodka hervor. Aus der Schublade zauberte er ein langes schlankes Glas und goß es voll. »Grämen Sie sich nicht, Wassja Grigorjewitsch! Sie sind nicht der erste, dem man Honig an den Hintern schmierte und den nun

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