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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Bahnsteig aber doch leer.
    Und zum Schluß steht nur noch ein einziges Kind da, ein Kind
    mit Zöpfen und Zopfschleifen. Bis gestern trug es Locken. Bis
    gestern hieß es Luise Palffy.
    Das kleine Mädchen hockt sich schließlich auf den Koffer und
    beißt die Zähne fest zusammen. Im Bahnhof einer fremden Stadt auf seine Mutter zu warten, die man nur als Fotografie kennt und die nicht kommt – das ist kein Kinderspiel!
    Frau Luiselotte Palffy, geborene Körner, die sich seit
    sechseinhalb Jahren (seit ihrer Scheidung) wieder Luiselotte Körner nennt, ist im Verlag der »Münchner Illustrierten«, wo sie als
    Bildredakteurin angestellt ist, durch neu eingetroffenes Material für die aktuellen Seiten aufgehalten worden.

    Endlich hat sie ein Taxi ergattert. Endlich hat sie eine
    Bahnsteigkarte erkämpft. Endlich hat sie im Dauerlauf Bahnsteig 16
    erreicht.
    Der Bahnsteig ist leer.
    Nein! Ganz, ganz hinten sitzt ein Kind auf einem Koffer! Die
    junge Frau rast wie die Feuerwehr den Bahnsteig entlang!

    Einem kleinen Mädchen, das auf einem Koffer hockt, zittern die
    Knie. Ein ungeahntes Gefühl ergreift das Kinderherz. Diese junge, glückstrahlende, diese wirkliche, wirbelnde, lebendige Frau ist ja die Mutter!
    »Mutti!«
    Luise stürzt der Frau entgegen und springt ihr, die Arme
    hochwerfend, an den Hals.
    »Mein Hausmütterchen«, flüstert die junge Frau unter Tränen.
    »Endlich, endlich hab’ ich dich wieder!«
    Der kleine Kindermund küßt leidenschaftlich ihr weiches
    Gesicht, ihre zärtlichen Augen, ihre Lippen, ihr Haar, ihr schickes Hütchen. Ja, das Hütchen auch!
    Sowohl im Restaurant, der Schwemme, wie in der Küche des
    Hotels »Imperial« in Wien herrscht wohlwollende Aufregung. Der
    Liebling der Stammgäste und der Angestellten, die Tochter des
    Opernkapellmeisters Palffy, ist wieder da!
    Lotte, pardon, Luise, sitzt, wie es alle gewohnt sind, auf dem
    angestammten Stuhl mit den zwei hohen Kissen und ißt mit
    Todesverachtung gefüllte Palatschinken.
    Die Stammgäste kommen, einer nach dem andern, zum Tisch,
    streicheln dem kleinen Mädchen über die Locken, klopfen ihm
    zärtlich auf die Schulter, fragen, wie es ihm im Ferienheim gefallen hat, meinen, in Wien beim Papa sei’s aber doch wohl am schönsten, legen allerlei Geschenke auf den Tisch: Zuckerln, Schokolade,
    Pralinen, Buntstifte, ja einer holt sogar ein kleines, altmodisches Nähzeug aus der Tasche und sagt verlegen, es sei noch von seiner Großmutter selig – dann nicken sie dem Kapellmeister zu und
    wandern an ihre Tische zurück. Heute wird ihnen das Essen endlich wieder richtig schmecken, den einsamen Onkeln!
    Am besten schmeckt’s freilich dem Herrn Kapellmeister selber.
    Ihm, der sich immer aufs Einsamseinmüssen aller »wahren
    Künstlernaturen« so viel zugute getan und der seine verflossene Ehe stets für einen Fehltritt ins Bürgerliche gehalten hat, ihm ist heute höchst »unkünstlerisch« warm und familiär ums Herz. Und als die Tochter schüchtern lächelnd seine Hand ergreift, als habe sie Angst, der Vater könnte ihr sonst womöglich davonlaufen, da hat er
    wahrhaftig, obwohl er Beinfleisch und keineswegs Knödel verspeist, einen Kloß im Hals!
    Ach, und da kommt der Kellner Franz schon wieder mit einer
    neuen Palatschinke angewedelt!
    Lotte schüttelt die Locken. »Ich kann nimmer, Herr Franz!«
    »Aber, Luiserl!« meint der Kellner vorwurfsvoll. »Es ist doch
    erst die fünfte!«

    Nachdem der Herr Franz leicht bekümmert mitsamt der fünften
    Palatschinke in die Küche zurückgesegelt ist, nimmt sich Lotte ein Herz und sagt: »Weißt du was, Vati – ab morgen esse ich immer das, was du ißt!«
    »Nanu!« ruft der Herr Kapellmeister. »Und wenn ich nun
    Geselchtes esse? Das kannst du doch nicht ausstehen! Da wird dir doch übel!«
    »Wenn du Geselchtes ißt«, meint sie zerknirscht, »kann ich ja
    wieder Palatschinken essen.« (Es ist halt doch nicht ganz so einfach, seine eigene Schwester zu sein!) Und nun?

    Und nun erscheint der Hofrat Strobl mit Peperl. Peperl ist ein
    Hund. »Schau, Peperl«, sagt der Herr Hofrat lächelnd, »wer wieder da ist! Geh hin, und sag dem Luiserl grüß Gott!«
    Peperl wedelt mit dem Schwanz und trabt eifrig an Palffys Tisch, um dem Luiserl, seiner alten Freundin, grüß Gott zu sagen.
    Ja, Kuchen, nein, Hundekuchen! Als Peperl am Tisch
    angekommen ist, beschnuppert er das kleine Mädchen und zieht sich, ohne grüß Gott, eiligst zum Herrn Hofrat zurück.
    »So ein blödes Viech!« bemerkt

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