Das Dorf der Katzen
ihrem überstürzten Aufbruch in jener Nacht, als Choriogatos scheinbar brannte, schilderte den ersten Kampf mit den Ch’quar und ihre darauf folgenden Erlebnisse und Erfahrungen im Dorf. Sie berichtete von dem weiteren nächtlichen Kampf, wo es praktisch schon auf Biegen und Brechen gegangen war, wo die Kreaturen bereits ins Dorf eingedrungen waren und von der Wendung im letzten Moment. Sie erläuterte die Prophezeiung und schloss mit ihrer Erkenntnis, dass diese als sich selbst erfüllend ihren Weg nehmen würde und die Insel zum Untergang verurteilt war. Die Menschen in diesem höheren Spiel waren größtenteils zum Reagieren verdammt, nicht zum Agieren.
Als sie geendet hatte, saß Nikola mit aschfahler, versteinerter Miene da. Beide schwiegen, es war totenstill im Raum, bis auf das Brummen der Klimaanlage und der Kühltheke. Schließlich räusperte sich Nikola.
„Jetzt, glaube ich, brauche ich noch ein Glas!“, sagte sie tonlos.
Als sie sich wieder gefangen hatte, sah sie Vera lange und ernst an.
„Wir haben ein riesiges Problem“, sagte sie dann ruhig. „Wie bringen wir den Leuten von Illasandria bei, dass sie ihre Heimat verlassen sollen. Ihre Häuser und Äcker. Die Erde, die sie seit Generationen bewirtschaften, in der ihre Eltern und deren Eltern und Großeltern begraben sind. Wie?“
Vera schüttelte langsam den Kopf.
„Ich weiß es nicht“, sagte sie leise.
„Wenn wir einfach in den Ort hinausgehen und den Leuten das beizubringen versuchen, was du mir soeben erzählt hast, werden wir gesteinigt“, sagte Nikola. „Ich kenne die Menschen hier, die sind in ihrer abergläubischen Religiosität leicht zu hysterisieren.“
Vera dachte an ihre Flucht aus dem Dorf, als der Jeep von aufgebrachten Menschen eingekeilt gewesen war, obwohl doch keinerlei Gefahr für Illasandria im Verzug gewesen war. Sie nickte.
„Außerdem ist es nicht gut, wenn so viele Menschen über die wahren Hintergründe Bescheid wissen“, sagte sie. „Die in Choriogatos wissen alle Bescheid, schon seit vielen Jahren, aber keiner hat je bei einem Besuch drüben in Rhodos oder sonst wo über die Sache gesprochen. Da würde auch später jeder dicht halten. Aber diese braven Leute hier, die haben überall Verwandtschaft. Wenn die von hier wegziehen, ich sagte WENN, dann wird die Hintergrundgeschichte überall publik. Das ist auch nicht gut.“
„Am besten wäre es, wenn der wahre Grund im Dunkeln bleiben würde“, meinte Nikola nachdenklich. „Man müsste den Menschen hier eine andere Geschichte auftischen, die so schauerlich und gleichzeitig glaubwürdig ist, dass sie die Insel verlassen, ohne groß nachzudenken.“
„Und woher nehmen und nicht stehlen?“, fragte Vera sarkastisch zurück.
Im gleichen Moment hielt sie sich krampfhaft an der Tischplatte fest. Der Raum um sie herum schien plötzlich zu schwanken. Ein Grundvertrauen von ihr wurde erschüttert, als sich der Boden unter ihr bewegte. In Zeitlupe schienen Wellen durch ihn zu laufen, wie in einem schlecht gedämpften Wasserbett.
Was ging hier vor? Das konnte doch nicht die Nachwirkung dieses einen Schnapses sein? Die Gläser und Flaschen hinter dem Tresen klirrten aufgeregt.
Die Bewegungen um sie herum wurden stärker, ein fernes Dröhnen war von draußen zu hören, dann polterte irgendwo irgendetwas Großes um. Man hörte berstendes Glas und das trockene Knallen von brechendem Holz. Dazwischen das charakteristische dumpfe Rumpeln und Kollern zerfallender Mauern.
Die Flasche mit dem Tsipouro geriet in eine Taumelbewegung und drohte zu kippen. Nikola fing sie rasch auf, auch sie blickte jetzt gehetzt um sich.
So schnell der Spuk gekommen war, so schnell war er wieder vorbei. Veras Hände zitterten, als sie den Tischplattenrand losließ. Sie sagte nichts und sah Nikola fragend an.
„Ein Erdbeben!“, stieß diese schließlich hervor, „an sich nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend. Es rumpelt hin und wieder mal, aber so lang und vor allem heftig - ich kann mich nicht erinnern, dass es hier schon mal so gewaltig gebebt hat!“
Geschrei drang von draußen herein. Vera und Nikola liefen zur Tür. Menschen rannten an der Taverne vorbei an den linken Hafenrand. Dort verwehte gerade langsam eine Staubwolke. Es kamen die Überreste eines Hauses zum Vorschein, das unter den Erdstößen zusammengebrochen war. Vera umklammerte entsetzt Nikolas Arm.
„Oh Gott, das Haus!“, stieß sie hervor. „Die Menschen darin!“
Nikola kniff die Augen zu Schlitzen
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