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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Fritz
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zusammen und blickte genauer hin.
    „Alles in Ordnung“, sagte sie dann. „Das war das Haus vom alten Schuster Kandadreous. Der ist vor einem Jahr gestorben. Das Haus stand seither leer. Ich glaube nicht, dass da viel kaputt gegangen ist. Vor allem sind wohl keine Menschenleben betroffen. Aber brutal ist das schon. Seit ich hier lebe, ist noch kein Haus so ohne weiteres eingestürzt. Vor allem keines, das noch nicht so baufällig war wie die alten, seit langem verlassenen.“
    Langsam drehte Vera den Kopf in Richtung Nikola, die blickte gleichzeitig zu Vera. Sie sahen sich einen Moment lang an.
    „Ich habe eine Idee“, sagten dann beide gleichzeitig.
    In der nächsten Stunde wurde im Gastraum der Taverne unter Okraschotenputzen und Wildkräuterverlesen ein Plan ausgeheckt.
    Nikola war dann durch den Ort gegangen und hatte die wichtigsten Männer, sozusagen den Bürgerrat, am frühen Nachmittag zu sich in die Taverne eingeladen. Sie gab an, dass sie etwas sehr Wichtiges zu sagen hätte, das in unmittelbarem Zusammenhang mit dem heutigen Erdbeben stünde. Getränke würden natürlich aufs Haus gehen.
    Die Männer waren zunächst skeptisch. Was hätte eine Wirtin, noch dazu eine Metanasta, eine Zugereiste, zu einem Erdbeben schon zu sagen? Aber Nikola machte es dringend und wichtig und die Neugier der Männer siegte schließlich und so kam es, dass sich gegen siebzehn Uhr insgesamt neun einflussreiche Illasandriner, alles Familienoberhäupter, in Nikolas Taverne einfanden.
    Vera hielt sich im Nebenzimmer auf. Sie wollte nach Möglichkeit gar nicht oder nur im Notfall in Erscheinung treten.
     
    Als der letzte der Männer eingetroffen war und alle an den Tischen saßen und mit ihren Getränken und kleinen Meze-Tellern versorgt waren, ebbte das lebhafte Gespräch allmählich ab. Es wurde still, nur das Klicken der Komboloi war zu hören. Neun erwartungsvolle und fragende Augenpaare richteten sich auf Nikola.
    Diese schwang sich burschikos auf die Tresenplatte, um eine erhöhte Sitzposition zu haben und legte ohne viele Umschweife los:
    „Freunde“, sagte sie laut und deutlich, „ihr kennt mich alle seit vielen Jahren. Ich habe niemals einen von euch betrogen, niemals einen bei seiner Frau verraten, wenn er mal wieder bei mir saß und nicht auf dem Feld war, und jeder von euch konnte bei mir anschreiben lassen, wenn das monatliche Taschengeld mal wieder nicht reichte.“
    Einige der Männer zogen die Köpfe ein. Die anderen grinsten. Es war bekannt, dass in Illasandria - und nicht nur dort - die Frauen die heimlichen Familienchefs waren. Mochten die Männer außer Haus noch so starke Reden schwingen: Zu Hause regierten die Frauen und das oftmals mit eiserner Hand und Haaren auf den Zähnen. Nikola hatte bei einigen der Männer bereits den wunden Punkt getroffen. Aber auch die anderen hatte sie rasch an der Kandare:
    „Stelios! Ich bin die einzige, die dir die wenigen winzigen Fische abkauft, die du noch nach Hause bringen kannst, nachdem dein Vater und dein Großvater mit ihrer verdammten Dynamitfischerei die Bestände nachhaltig ruiniert haben!
    Christos! Mir und Jack hast du es zu verdanken, dass du deine Olivenholzschnitzereien in Rhodos Stadt verkaufen kannst.
    Nico! In der Hochsaison können deine Frau und deine Schwester bei mir mitarbeiten und das schon seit Jahren!“
    Jetzt blickten die meisten der Männer ziemlich betreten.
    Nikola sah sie nacheinander durchdringend an.
    „Was ich sagen will: Ihr müsst zugeben, dass ich es all die Jahre immer gut und ehrlich mit euch und Illasandria gemeint habe, oder?“
    Zustimmendes Gemurmel war zu hören.
    Jetzt kam es! Nikola holte tief Luft.
    „Ich weiß, dass dieses Erdbeben heute nur ein Vorbote war. Es werden stärkere Beben kommen, noch weitaus stärkere. Illasandria wird zerstört werden, Choriogatos ebenso. Möglicherweise wird die ganze Insel derart in Mitleidenschaft gezogen, dass sie für immer unbewohnbar wird. Ich weiß weiterhin, dass das oder die Folgebeben sehr bald kommen werden. Wir müssen die Insel verlassen. Spätestens bis übermorgen!“
     
    Die Männer hatten sekundenlang starr dagesessen, dann brach ein Tumult los. Alle sprangen auf, Stühle wurden umgestoßen, Handflächen oder Fäuste krachten auf Tischplatten, die Männer gestikulierten und schrien wild durcheinander. Fragen und Vorwürfe prasselten auf Nikola ein.
    Die sah dem Treiben von ihrer erhöhten Position aus eine Zeit lang zu und hob schließlich beide Hände.
    „Ruhe!“,

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