Das Dorf der Katzen
rief sie. „Freunde, seit bitte ruhig und hört mir zu. Ihr kennt doch Ioannis aus Choriogatos. Stelios, dein Vater war mit seinem Vater draußen beim Fischen, als das Dynamit zu früh hochging!
Ioannis ist weder ein Träumer und Phantast, noch ein Panikmacher. Er studiert Geologie und hat sich mit seiner, mit unserer Insel ausgiebig befasst. Er ist wieder hier und hat jetzt vor kurzem eine Nachricht vom seismologischen Institut in Athen bekommen, wo er Freunde hat, die ihn bei Gefahr informieren sollen. In der Nachricht wird ausdrücklich vor schweren Erd- und Seebeben hier in der Gegend gewarnt.
Ihr wisst, dass vor wenigen Wochen das verheerende Beben an der türkischen Küste war. Auf Santorin und Nissiros beobachten Vulkanologen eine sprunghaft erhöhte seismische Tätigkeit. Es wird sogar überlegt, die Inseln zu räumen oder wenigstens keine Touristen mehr hinzubringen.
Phelisonissi liegt mitten in einem Gebiet, das momentan so aktiv ist, wie seit Jahrzehnten nicht mehr und die Experten fürchten, dass die Aktivität noch zunehmen wird. Bitte, zählt eins und eins zusammen!“
Aristos stand auf. Er war der Mann im Dorf, dessen Meinung schon oft den Ausschlag für irgendeine Entscheidung gegeben hatte.
„Nikola“, sagte er ruhig. „Wir alle wissen um deine Loyalität und Integrität. Beide stehen außer Frage! Aber du mutest uns hier völlig unverhofft sehr viel zu. Wie hast du überhaupt von Ioannis die Nachricht erhalten? Ist er hier im Haus? Warum spricht nicht er zu uns, sondern hat dir die Aufgabe überlassen?“
„Nein, Ioannis ist nicht hier. Er ist auf dem Weg nach Rhodos, um die Evakuierung von Choriogatos in die Wege zu leiten. Er nimmt die Warnungen außerordentlich ernst. Aber er hat jemanden hergeschickt, der mir die Nachricht überbracht hat.“
„Wer ist es? Ist er noch hier?“
Nikola zögerte.
„Ja“, sagte sie schließlich. „Er, oder vielmehr sie, ist noch da.“
Dann rief sie auf Deutsch: „Vera, ich fürchte, du musst dich der Meute stellen. Kommst du bitte?“
Hinter der Tür zum Nebenraum biss sich Vera auf die Unterlippe. Sie hatte es befürchtet. Es ließ sich wohl nicht länger vermeiden, dass sie vor die Leute da draußen trat. Sie öffnete die Tür und ging schnell an den Männern vorbei nach vorne zum Tresen und stellte sich neben Nikola.
Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Aristos ergriff als Erster wieder das Wort.
„Wir kennen diese Frau. Es ist die Magissa!“, sagte er kalt. Die anderen Männer nickten schweigend.
Vera hatte nur „Magissa“ verstanden. „Erde, tu dich auf und verschlinge mich!“, flehte sie innerlich. Nach außen hin gab sie sich ganz ruhig und cool. Sie räusperte sich kurz, dann begann sie zu sprechen. Nikola übersetzte, so gut und schnell sie konnte.
„Nikola hat euch sicherlich schon wahrheitsgemäß berichtet, was Ioannis erfahren hat. Er selbst ist von der Dringlichkeit der Warnung überzeugt und bereitet die Evakuierung von Choriogatos vor!“
Sie blickte zu Nikola, die nickte kurz.
Veras Herz klopfte. „Liebster, verzeih mir, dass ich dich für meine Lüge missbrauche“, dachte sie sich, „aber es ist eine Notlüge. Ich muss diese Menschen von hier weglocken!“
Dann sprach sie weiter, knapp und präzise, damit Nikola sich mit der Übersetzung leicht tat.
„Nikola hat also schon alles gesagt. Die Warnungen sind eindeutig und Furcht erregend, finde ich, findet Ioannis!“, korrigierte sie sich schnell.
„Er hat mich gebeten, die Nachricht hierher zu bringen. Ich weiß, dass ich in euren Augen eine Hexe bin und ihr mir nicht vertraut. Ich weiß, dass ihr wahrscheinlich sogar mich für alles verantwortlich macht, was bisher passiert ist. Aber ich bin keine Hexe, ich bin eine ganz normale Touristin, die von Jack im Mandraki-Hafen angesprochen und hierher gebracht wurde, um Urlaub zu machen. Glaubt ihr, Jack würde euch eine Hexe in den Ort bringen? Glaubt ihr, Nikola würde eine Hexe in ihrem Haus aufnehmen? Und vor allem: Würde eine Hexe, die euch Böses will, gleichzeitig genau davor warnen?“
Gemurmel war zu hören. Veras Worte zeigten Wirkung. Sie hoffte es zumindest. Schnell redete sie weiter.
„In Choriogatos ist geplant, eine Fähre zu chartern. Eine große Autofähre. Die kann bis an die Mole heranfahren und alle Leute mit deren Hab und Gut in einem Durchgang aufnehmen. Auf Rhodos sollen die Leute aus Choriogatos zunächst bei Verwandten und Freunden untergebracht werden und dort
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