Das Dorf der Katzen
staubbedeckt.
In der hintersten Ecke stand ein uralter Tresor, der schon so lange nicht mehr geöffnet worden war, dass fleißige Spinnen Zeit gehabt hatten, das fünfspeichige Drehrad mit einem filigranen Behang zu verzieren.
Georgios ging vor dem Ungetüm in die Hocke und schraubte an dem dreistufigen Stellrad hin und her, um die Kombination einzustellen. Ein leises Klicken war zu hören. Als er dann das Drehrad ergriff und im Uhrzeigersinn drehte, entriegelte der Verschluss laut hörbar. Er zog an dem Rad und mit einem leise schmatzenden Laut ging die wuchtige Tür auf.
Ioannis spähte in das Innere des Tresors. Der einzige Inhalt bestand aus einem schachtelförmigen Behälter, etwa so groß wie ein Schuhkarton.
„Ist es das?“, fragte er mit Blick auf den Behälter.
„Ja“, sagte Georgios. „Vorsicht, ist verdammt schwer!“
„Bleiabschirmung“ dachte Ioannis, als er nach der Schachtel griff. Sie war für ihre Größe wirklich unglaublich schwer. Er verstaute sie in seiner Reisetasche, dann gab er Georgios die Hand.
„Ich danke dir, mein Freund“, sagte er. „Du hast keine Ahnung, welch einen großen Gefallen du mir und wahrscheinlich der Menschheit getan hast.“
Georgios runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
Er drehte sich um und verschloss den Tresor. Nachdem er das Stellrad ein paar Mal verdreht hatte, wandte er sich wieder Ioannis zu. Eine Frage hatte er noch.
Aber Ioannis war schon weg.
Kopfschüttelnd ging Georgios die Treppe hinauf. Ob er wohl irgendwann einmal Ioannis fragen konnte, ob er sich mit Themi treffen möchte?
Der so um einen Verkuppelungsversuch Herumgekommene eilte bereits durch das Gassengewirr von Rhodos zur Odos Gavala im ehemaligen Judenviertel. Dort hatte Sokrates Manatakis seinen kleinen Laden, der unter Insidern ein Geheimtipp war.
Das Geschäft war vorne ein Eisenwarenladen, aber für „spezielle“ Kunden öffnete sich eine Tür zu einem Hinterzimmer, wo Sokrates eine kleine, hoch spezialisierte Büchsenmacherwerkstatt betrieb. Er bewegte sich mit diesem Zusatzgeschäft regelmäßig auch außerhalb der Legalität, aber wo kein Kläger, da kein Richter und seine handverlesene Kundschaft wäre schlecht beraten gewesen, ihn auffliegen zu lassen, denn seine Fachkenntnis und Genialität in Sachen Schusswaffen und Munition waren in einschlägigen Kreisen legendär.
Es gab betuchte Waffennarren, die von der anderen Seite des Globus zu Sokrates kamen, um ein spezielles Problem gelöst oder einen speziellen Wunsch erfüllt zu bekommen.
Sokrates war - aus nahe liegenden Gründen - verschlossen wie eine Auster und alle seine Kunden auch. So war jeder glücklich und zufrieden.
Ioannis hatte Sokrates vor Jahren über seinen Vater kennen gelernt. Sokrates war eine der Bezugsquellen für das verdammte Dynamit gewesen, mit dem die Fischer damals die Gewässer um Rhodos, und nicht nur diese, so gut wie leer gefischt hatten.
Vielen der Männer war der Sprengstoff selbst zum Verhängnis geworden, wenn er nicht erst im Wasser, sondern schon früher hochging. Ioannis’ Vater war einer von ihnen gewesen.
Sokrates hatte sich damals direkt verantwortlich dafür gefühlt und der Familie Kostanidis finanziell unter die Arme gegriffen. Daraus hatte sich eine Art Vater-Sohn-Freundschaft zwischen ihm und Ioannis entwickelt.
Sokrates stand hinter der Verkaufstheke und polierte mit Hingabe eine Badewannenarmatur, als Ioannis durch die niedrige Tür trat und grüßte.
Das Ladeninnere sah aus wie immer: ein überbordender Wust an allen möglichen Metallgegenständen, Werkzeugen, Camping- und Angelzubehör, Motorersatzteilen, Kochgeschirr und Haushaltsgeräten füllte deckenhohe Regale, hing an den Wänden und von der Decke und war am Boden und in den Ecken und Winkeln gestapelt. Einzig Sokrates kannte sich hier aus, und das genügte auch.
Er war ein kleiner, alter, gebückter Mann, fast ohne Haare, aber mit einem mächtigen weißen Schnurrbart. Hinter dicken Brillengläsern funkelten listige kleine Äuglein. Seine Bewegungen hatten etwas Wieselhaftes.
„Jassu, mein Junge!“, grüßte er mit heller Stimme zurück. „Was kann ich für dich tun? Ersatzteile für die Entsalzungsanlage?“
Er beugte sich ein wenig vor und blinzelte über den Rand seiner Brille.
„Oder sollen wir gleich nach hinten gehen?“
„Ja!“, sagte Ioannis knapp.
In der Werkstatt wuchtete er den Bleibehälter auf den Tisch.
„Da drin ist Uran oder Uranerz oder beides“, sagte er so beiläufig,
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