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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Fritz
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einen Prachtkater nennen würde. Groß, massig, aber nicht fett, fast sieben Kilogramm durchtrainierte Muskeln. Schwarzes Fell, das in der Sonne einen Stich ins Mahagonifarbene und hellere Muster zeigte. Wie bei einem Panther. Allerdings war sein Fell nicht pantherartig kurz und glänzend, sondern länger, speziell um den Hals, an den Flanken und am Schwanz, was ihm eher das Aussehen einer fast schwarzen norwegischen Waldkatze verlieh.
    Auf jeden Fall passte sein Erscheinungsbild nicht so recht zu den vier anderen Katzen, die in unterschiedlichsten Stellungen um ihn herum saßen und lagen, um nicht zu sagen: herumlungerten und die das typische Mittelmeerkatzen-Aussehen hatten: eher schlank, grazil und hochbeinig, mit spitzen Schnauzen, überproportional groß wirkenden Ohren, bleistiftdünnen Schwänzen und kurzem, fast schütter wirkendem Fell.
    Zwischen ihnen war er eine beeindruckende Erscheinung, trotz oder gerade wegen des ausgefransten Ohrs und der Narbe quer über dem Nasenrücken - Andenken und Tapferkeitsauszeichnungen aus seiner Sturm- und Drangzeit im ersten Leben, als er sich noch als einer unter vielen behaupten musste.
    Bis er hierher kam.
     
    Oder vielmehr: hierher geholt wurde.
     
    Seine Gedanken schweiften wie schon so oft zurück über die Jahre und Jahrzehnte, übersprangen seine Leben und kamen am Beginn seines ersten Lebens zum Halt.
    Er sah sich wieder als namenloser Streuner in Piräus, dem Hafen von Athen, in einer dreckigen Straße eines dreckigen Viertels unten am dreckigen Hafenwasser.
    Der tägliche Kampf um sein kleines Revier, das ihm ständig von irgendwelchen anderen Streunern streitig gemacht wurde. Der tägliche Kampf ums Fressen, um einen Schlafplatz und um schöne Katzendamen.
    Furchtbare Auseinandersetzungen auf Leben und Tod mit Hafenratten, fast so groß wie er selbst. Fußtritte von Hafenarbeitern. Hunger, Schmerzen: Ein erbärmliches und gehetztes Leben hatte er.
    Aber er lebte, er wollte weiter leben und außerdem war da irgendwann einmal noch etwas gewesen, eine Stimme in ihm.
    Erst leise, sporadisch, dann immer lauter, immer öfter.
    „Komm“, raunte sie in ihm.
    „Komm! Du bist einer der wenigen Auserwählten. Komm!“
    Erst achtete er nicht sonderlich auf die Stimme. War sie doch vielleicht eine Nachwirkung der Auseinandersetzung vom Vortag, als er einen aufsässigen Jungkater aus dem Revier hatte prügeln müssen, was ihm zwar gelungen war, aber auch eine tiefe blutende Furche auf dem Nasenrücken und einen dröhnenden Kopf eingebracht hatte.
    Aber der Kopfschmerz verging, die Wunde heilte und die Stimme blieb, wurde intensiver.
    „Komm über das Wasser! Komm!“
    So wisperte und raunte es in ihm. Tagelang, immer lauter.
     
    Schließlich führte ihn ein innerer Zwang an die Mole mit den Wasserfahrzeugen, die den Pendelverkehr von Menschen und Waren zwischen den Inseln und dem Festland besorgten. Da lag ein kleines Schiff, eher ein Kutter, und eine Planke reichte von der Reling zur Mole herunter.
    Kein Zweibeiner weit und breit.
    „Komm! Komm“, wieder die Stimme.
    Er tat einen vorsichtigen Schritt auf die Planke.
    „Komm weiter!“ Er ging weiter, erreichte das Ende der Planke und blieb unschlüssig stehen.
    „Weiter!“
    Nach kurzem Zögern sprang er auf Deck. Er misstraute aus gutem Grund allen fremden Dingen und dieser Kutter hier war fremd! Und richtig: Kaum war er an Deck, hörte er lautes Poltern und Geschwatze. Zwei Männer trampelten in seine Richtung, sahen ihn aber nicht.
    Der Rückzug war abgeschnitten, es blieb ihm nur die Flucht durch eine Luke unter Deck. Er verkroch sich hinter einem Berg übel riechender alter Fischernetze und versuchte, sich so gut es ging, unsichtbar zu machen. Sein schwarzes Fell verschmolz mit der Düsternis in dem Verschlag.
    Er lauschte.
    In einem Raum neben ihm erwachte dröhnend ein Motor zum Leben, der Kutter begann erst sachte, dann stärker zu schwanken und er hörte Wellenschlag außen an den Rumpf klatschen. Der Kutter hatte abgelegt!
    Mit ihm an Bord.
    Mit unbekanntem Ziel.
    „Du bist auf dem Weg“,  sagte die Stimme in ihm.
    Er wusste nicht, wie lange er unter Deck versteckt hinter dem Netz kauerte. Stunden waren ihm sowieso fremd und den Stand der Sonne, Tag oder Nacht konnte er in seinem Verlies nicht wahrnehmen.
    Hunger und vor allem Durst begannen ihn zu quälen. In seiner Not leckte er eine kleine Pfütze öligen Wassers auf, die auf dem Boden stand, aber recht viel besser fühlte er sich danach auch

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