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Das Dorf der Katzen

Das Dorf der Katzen

Titel: Das Dorf der Katzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Fritz
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auf und drehte ihnen den Kopf zu. Zunächst verzog sich sein Mund zu einem fast zahnlosen Lächeln, als ihn Jack respektvoll grüßte, doch als sie näher kamen und er nun trotz seiner schlechten Augen Vera klar erkennen konnte, wandte er sichtlich erschrocken seinen Kopf ab, blickte stur Richtung Wasser und zog die Schultern hoch.
    So saß er rundrückig da und ließ Vera und Jack hinter sich vorbei gehen.
    Mit einem scheuen Blick vergewisserte er sich dann, dass die beiden weit genug weg waren, dann packte er hastig seine Sachen zusammen und lief, so schnell ihn seine alten Beine trugen, zu seinem Haus.
    Er schlug die Tür hinter sich zu und bekreuzigte sich.
     
    Vera hatte diesen Vorfall nicht mitbekommen.
    Jack hatte das Erschrecken im Gesicht des Alten sehr wohl bemerkt, konnte sich auch einen Reim darauf machen, schwieg aber zunächst.
    Vielleicht war es wirklich nur ein Märchen, das die Alten hier erzählten, um kleine Kinder und Fremde wie ihn zu erschrecken.
     
    Vera sog die Luft ein.
    Es roch nach Meer, Tang, heißer Straße, Lavendel, Pinienharz und - Essen.
    Es war Abendessenzeit und Vera bemerkte, dass sie Hunger hatte.
    Sie kamen an dem Haus an.
    „TABEPNA“, las Vera laut.
    „TAVERNA“, verbesserte sie Jack. Das „V“ wird auf griechisch als „B“ geschrieben und das „R“ als „P“.
    Vera lachte. „Dann schreibt man meinen Namen auf griechisch ‚BEPA’?“
    „So ist es“, sagte Jack trocken. „Gehen wir rein und sehen wir zu, dass wir für sie eine Bleibe finden. Außerdem habe ich tierischen Hunger!“
    „Ein Seelenverwandter!“, dachte Vera.
     
    ΦΦ ΦΦ
     
    Sein Name war „o Gerontas“, der Alte. Es war auch zugleich sein Titel, der seine besondere Stellung unter den anderen Abbildern unterstrich.
    Alt war er. Uralt, fast siebzig Jahre - für seine Spezies ein schier unglaubliches, geradezu biblisches Alter.
    Er war nun im siebten Leben, seinem letzten.
    O Gerontas lag ausgestreckt auf dem betonierten Flachdach eines Hauses, wie es für den südöstlichen Mittelmeerraum so typisch ist: rechteckig-geduckt, mit kleinen Fenstern, um im Sommer die Hitze draußen und im Winter die Wärme drinnen zu halten.
    Weiß gekalkt die Wände als Sonnenreflektor, blau gestrichen die Fenster- und Türrahmen, die Fensterläden und die Haustür.
    Blau hält böse Geister und den bösen Blick, den „kako mati“, vom Haus und seinen Bewohnern fern - das wusste hier jedes Kind.
    Kein schräges Satteldach mit Ziegeln, ein einfaches Flachdach mit einer kleinen umlaufenden Mauer entlang der Dachkante, unterbrochen von Abflussöffnungen für Niederschlagswasser. Ein Flachdach heizt sich im Sommer weniger auf und benötigt weniger Baumaterial, vor allem weniger Holz als ein geneigter Dachstuhl. Wichtig für eine Gegend, wo es kaum mehr Bauholz zu holen gab und jeder Balken, jedes Brett auf dem Seeweg von weit her teuer herangebracht werden musste.
    Außerdem ist so ein Flachdach ein herrlicher Ort zum Faulenzen, Nachdenken und Philosophieren: Man liegt vor Blicken geschützt hoch über dem Treiben in den Gassen darunter, spürt unter sich den sonnendurchwärmten Beton und kann seine Gedanken fließen lassen.
    Und das tat o Gerontas auch mit Hingabe und täglich stundenlang.
    Normalerweise kam er gerne auf „sein“ Dach, um über die Welt im allgemeinen, das Dorf und seine Rolle darin im speziellen und ganz speziell über die Frage seines Nachfolgers nachzudenken, wenn er bald in das Reich DER EINEN gehen würde.
    Normalerweise. Aber in letzter Zeit musste er sich mit anderen, ungewohnten Gedanken beschäftigen, musste sie zu Ende denken. Abwägen, Entscheidungen treffen.
    DIE EINE hatte ihn aufgefordert, Vorbereitungen zu treffen. Die Prophezeiung wäre in Gang gesetzt worden und würde sich nun zwangsläufig erfüllen. Er und die anderen Abbilder mussten sich darauf vorbereiten. Er wusste schon lange um die Prophezeiung und die Rolle des Dorfes darin. Aber er wusste bisher nicht, wann es soweit sein würde. Jetzt hatte SIE es ihm gesagt.
    Er dehnte und reckte sich auf der Seite liegend, den Rücken konkav durchgedrückt, die Vorderläufe mit ausgefahrenen Krallen und durch die angespannten Muskeln zitternd ausgestreckt. Der Kopf lag weit im Nacken, das Maul zu einem lautlosen Gähnen aufgerissen, das zwei imposante Eckzähne entblößte. Dann kauerte er sich wieder zusammen, die Vorderpfoten unter den Körper geschoben, die Augen halb geschlossen.
    O Gerontas war das, was man landläufig

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