Das Dorf der Mörder
beschäftigt. Dinge, die man nicht einfach mal so unterbrechen kann.«
»Welche Dinge?«
»Sie hat fünfzig Ratten vergast.«
Die scheppernde Stimme aus den Lautsprechern überschlug sich fast. Die Pferde mussten kurz vor dem Zieleinlauf sein.
»Charlotte Rubin war bei den Ratten. Der Clown bei den Pekaris. Das sind zwei Personen, nicht ein und dieselbe.«
Gehring schwante, worauf sie hinauswollte. Und er wusste, dass er das mit allem, was ihm zur Verfügung stand, verhindern würde.
»Zwei Täter«, sagte er.
Beara strahlte. »Richtig.«
»Vergessen Sie es.«
Jubel brandete auf. Beifall, Rufe, schließlich dröhnte die Lautsprecherstimme: »Sieg für Nachtschatten!«
Ihm blieb der Mund offen stehen. »Das war … eins zu zweiundvierzig. Das ist …«
»Zweitausendeinhundert. Exakt.«
»Sie haben gerade …«
»Hm ja.« Sie steckte die Hände in die Vordertasche ihrer Jeans und sah trotzdem nicht die Spur verlegen aus. »Mal kommt’s, mal geht’s. Außenseiter. Man darf sie nie unterschätzen.«
Er sah sie lange an. Schließlich nickte er.
»Wo würden Sie denn beginnen? Mal angenommen, irgendjemand in meiner Dienststelle wäre verrückt genug, Sie das zu fragen.«
»In Wendisch Bruch.«
Er hob die Augenbrauen. Das sollte eine Mischung aus beiläufigem Interesse und Belustigung ausdrücken.
»Ein Dorf hinter Jüterbog. Dort ist Charlotte Rubin aufgewachsen.«
Sie sah sich vorsichtig um und rückte ein Stück näher an ihn heran.
»Rubin hat keine Freunde. Sie lebte ziemlich zurückgezogen. Aber den Clown hat sie gekannt. Ich denke mir, wenn es um solche existenziellen Dinge wie Sein oder Nichtsein geht, bleibt eigentlich nur die Familie.«
»Ihre Schwester?«
Er neigte sich zu ihrem Ohr herab. So nah, dass er ihr Parfum riechen konnte. Oder ihr Duschgel. Es roch jedenfalls wie ein Eisbecher. Kokosnuss und Pfirsich.
»Sie kommt kurz aus München angeflogen, um einen Mord zu begehen?«
»Warum nicht? Hat jemand dieses Alibi geprüft?«
Herr, gib mir Geduld, dachte er.
»Selbstverständlich, Frau Beara. Das gehört zu unseren polizeilichen Ermittlungen.«
»Dann muss es noch jemand anderen geben.«
Gehring holte seinen Tippschein heraus und zerriss ihn langsam in viele kleine Fetzchen, die er im Aschenbecher entsorgte.
»Auf was genau wollen Sie hinaus?«
»Das weiß ich nicht. Ich will nach Wendisch Bruch. Vielleicht finden wir dort einen Clown.«
»Wir?«
Er sah, wie sie bei der Erwähnung dieses Wortes die Lippen aufeinanderpresste. Er ahnte, was in ihrem Inneren vorging. Sie war ehrgeizig und allein. Er hatte mit ihrem Chef über sie gesprochen. Sie konnte eine geniale Kriminalkommissarin werden – oder grandios scheitern, wenn sie nicht lernte, sich an die Zügel zu nehmen. Der Dienststellenleiter sah es genauso. Es stand fifty-fifty für sie.
»Damit wir uns nicht missverstehen.« Er orderte ein zweites Mineralwasser. »Ich finde Ihren Einsatz durchaus lobenswert. Er ist aber weder von Ihrer Ausbildung noch von den mageren Fakten, die Sie mir präsentiert haben, untermauert. Sie stehen damit auf schwankendem Boden, den Sie schleunigst verlassen sollten.«
Er wollte noch hinzufügen, dass sie froh sein konnte, damit zu ihm gekommen zu sein. Ihr Chef hätte sie gleich einen Kopf kürzer gemacht und ihre Chancen auf null gestaucht. Aber er ließ es bleiben.
Sie kickte vor Wut und Enttäuschung in den Kies.
»Frau Beara! Wie stellen Sie sich das vor? Sie haben keine, aber auch gar keine Ermittlungskompetenz!«
»Dann befragen Sie wenigstens die Kinder.«
Er stöhnte auf. Die junge Frau reichte eine kleine Flasche über den Tresen, Gehring suchte nach Kleingeld. War das teuer hier. Und Beara hatte gerade eben zweitausendeinhundert Euro eingesackt, einfach mal so. Außenseiter. Gab es eigentlich eine Dienstvorschrift, die so etwas regelte?
»Befragen Sie die Kinder, bevor es Rubins Anwalt tut«, sagte sie gepresst und an ihm vorbei in die andere Richtung schauend. Ihm fiel fast die Flasche aus der Hand.
»Was?«
Ihr Gesicht verzog sich zu einem bedauernden Lächeln, das genauso falsch war wie die Besorgnis, die sie in ihre Worte legte. »Ich bin nur eine kleine Streifenpolizistin, die mal einen kurzen Blick in die Akte werfen durfte. Aber Rubins Anwälte haben doch den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als ihre Mandantin rauszuhauen. Wenn die mitbekommen, dass es einen zweiten Clown …«
»Es gab keinen zweiten Clown!« Er knallte die Flasche auf den Tisch und drückte der
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