Das Dorf der Mörder
die zwei Euro, deren Gewinn oder Verlust ihn kaum noch berührten.
Er saß auf der Haupttribüne, und die Polizeipräsidenten, innenpolitischen Sprecher und Polizeigewerkschaftsbosse wechselten, manche kannte er, die meisten nicht mehr. Seine Besuche wurden seltener. Er wurde befördert, die Arbeit und die Verantwortung wuchsen, und Hoppegarten rutschte ab in den Status einer sentimentalen Erinnerung, die er nur noch selten herauskramte wie einen alten, angelaufenen Sportpokal.
Doch es gab Tage wie diese, an denen der Sommer seine Reize in verschwenderischer Fülle verbreitete. An denen das Korn vor Mahlsdorf zu reifen begann, die Linden betörend dufteten und er von aufgeregtem Kinderlachen und dem Brüllen hochgetunter Motoren geweckt wurde. Ein Sonntag im Juli. Raus aufs Land. Hoppegarten.
»Der bringt’s nicht.«
Gehring fuhr zusammen. Jemand hatte sich in der Schlange vor den Wettschaltern hinter ihm eingereiht und einen Blick auf seine Zeitung erhascht, in der er Bad Boy Blue eingekreist hatte. Er drehte sich kurz um und musste den Blick senken, denn die Frau war ziemlich klein.
»Guten Tag«, sagte sie und grinste ihn an.
Sanela Beara. War man denn noch nicht einmal am heiligen Sonntag vor diesem kleinen Kläffer sicher? Er erinnerte sich gut daran, wie sie sich in die Ermittlungen rund um den Tierpark-Fall eingemischt hatte. Mehr aus Mitgefühl als sonstigen, erklärungsbedürftigen Regungen hatte er ihr sogar einen Blick in die Ermittlungsakte gestattet. Seitdem hatte sie mehrfach versucht, mit ihm zu reden, was er jedes Mal abgeblockt hatte.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte er, ohne ihren Gruß zu erwidern.
»Pferdewetten. Ich hab mir Bad Boy Blue angesehen, er ist ein Loser. Nehmen Sie Nachtschatten. Der hat was.«
Mit Nachtschatten hatte er ebenfalls geliebäugelt. Aber er würde den Teufel tun und Bearas Tipp annehmen.
»Sie kennen sich aus?«
»Nein.« Sie sah anders aus, wenn sie keine Uniform trug. Nicht mehr so verbissen. Vielleicht lag es auch am Sommer. Gekleidet war sie in ein weißes T-Shirt mit dem berühmten Aufdruck einer herausgestreckten Zunge und den Worten »Forty Licks«, eine bis über die Knöchel hochgekrempelte Jeans und flache Ballerinas. Die dunklen Haare hatte sie zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengebunden, der die Zartheit ihres Gesichtes und den schmalen Hals noch betonte. Sie trug kleine Perlenohrstecker, und Perlen verliehen jedem Gesicht einen Ausdruck von Reinheit und Unschuld. Sie erinnerte ihn an Audrey Hepburn, und dieser Vergleich irritierte ihn. Sogar die Größe konnte stimmen. Keine eins sechzig. Wie sie sich an den Aufnahmevoraussetzungen für den Polizeidienst vorbeigemogelt hatte, wollte er gar nicht wissen.
»Ich beobachte nur. Genau wie Sie.«
Wütend faltete er die Rennzeitung zusammen und rückte weiter in der Schlange vor.
»Wenn Sie glauben, Sie können mich hier abpassen und mit mir über Ihre Beförderung reden, liegen Sie falsch. Das ist doch kein Zufall. Woher wussten Sie, dass ich hier bin?«
»Ihr alter Wandkalender von Hoppegarten in Ihrem Büro. Es gibt nur einen Renntag im Juli, den Großen Preis der Landesbanken. Wenn jemand zwei Jahre lang diesen Monat an der Wand hängen lässt, hat das was zu bedeuten. Haben Sie damals den Jackpot geknackt?«
Es war der letzte Tag gewesen, den sie als Familie verbracht hatten. Verdammt, er sollte dieses Ding endlich in den Papierkorb werfen.
»Nein«, knurrte er. »Warum sind Sie hier? Wegen Ihres Aufstiegsvermerks? Tut mir leid. Von mir werden Sie nichts erfahren. Wenden Sie sich an Ihren Chef.«
»Ich mag Pferde. Wenn ich nicht so einen Respekt vor ihnen hätte, wäre ich schon längst bei der Reiterstaffel. Aber da Sie das Thema schon anschneiden …«
»Ich habe es nicht angeschnitten.«
»Schon gut. Okay. Tut mir leid. Ich wollte nicht aufdringlich sein.«
»Dann seien Sie es auch nicht.«
Er rückte noch weiter vor und holte sein Portemonnaie aus der Hosentasche.
»Das ist aber leichtsinnig.«
»Was?«
»Das Geld so am Körper zu tragen. Sie wissen doch. Taschendiebe.«
Er unterdrückte einen ärgerlichen Seufzer. Am liebsten hätte er sie weggeschickt, aber das ging nicht. Sie saßen in dieser Schlange fest. Außerdem galten Hierarchien in der Freizeit nicht. Eigentlich.
»Ich wollte mich nochmal bedanken für damals. Dass ich, na ja, dass Sie mir einen Kaffee holen wollten.«
»Gerne«, sagte er und meinte das genaue Gegenteil.
»Ich hab ihn aber bis heute nicht
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