Das Dorf der Mörder
ist eine kräftige Frau. Ich denke ja. Wir haben keine fremde DNA an der Leiche feststellen können. Also hat sie Handschuhe getragen. Sollten es mehrere Täter gewesen sein, dann waren sie recht umsichtig. Das steht doch alles in meinem Bericht. Warum lesen Sie ihn nicht?«
»Weil Frau Beara auch mit mir ein Gespräch außerhalb der Dienstzeiten gesucht hat.«
»Oha. Ebenfalls bei einem Barolo im Pauly Saal?«
Der Pauly Saal in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule war der angesagteste Neuzugang von Berlins Szene. Gehring war noch nicht dort gewesen. Er erfuhr von der Existenz solcher Läden nur aus der Zeitung.
»Nein. So vertraut sind wir nicht miteinander.«
»Wir auch nicht, Herr Gehring«, lachte Haussmann. »War ein Scherz. Ich war letzte Woche da. Schicket Teil, wie der Berliner sagt. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Gehring dachte noch einmal an die kriminaltechnische Untersuchung.
»Die KTU hat ja keine Fingerabdrücke an der Leiche gefunden.« Vor Gehring lag der Bericht. Man hatte an Leyendecker noch Fasern der Hotelbettwäsche gefunden sowie Hinweise auf seine eigene, verschwundene Kleidung. Keine fremden Spuren. Er war mit seinem Latein am Ende. »Aber wir gehen natürlich jedem Hinweis nach, der die Alleintäterschaft von Charlotte Rubin in Zweifel zieht.«
»Wir waren nicht dabei. Ich muss mich an die Fakten halten. Ob ein oder zwei Personen den Mann ins Gehege geschafft und seine Überreste anschließend eingesammelt haben – aus meiner Sicht habe ich keine Anhaltspunkte dafür. Das habe ich Ihrer Mitarbeiterin auch schon gesagt.«
»Sie ist nicht meine Mitarbeiterin.«
»Vielleicht fragen Sie noch einmal bei der Spurensicherung nach. Die werden sich freuen. Schönen Tag noch.«
Gehring vertiefte sich nach diesem Gespräch noch einmal in den Bericht der Kollegen. Das Pekari-Gehege, der Weg bis zum Wirtschaftshof, die Futtertierzucht, die Knochentonnen, Rubins Wohnung – alles war untersucht worden. Nichts wies darauf hin, dass Rubin einen Helfer gehabt hatte.
Aber sie hatten auch nicht danach gesucht.
Gehring lehnte sich stöhnend zurück und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er kannte die Kollegen von der KT – mittlerweile nannte es sich Kompetenzzentrum Kriminaltechnik beim LKA . Der Untersuchungsleiter vom Kommissariat Tatorterkennungsdienst war ein ebenso freundlicher wie akribischer Mann, bestimmt schon kurz vor der Pensionierung, aber immer noch auf der Höhe seiner Kompetenz. Er überlegte, ob er mit ihm über Bearas Alleingänge reden sollte, und verschob die Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt. Es gab ja keine Zweifel. Höchstens eine minimale Irritation.
17
S anela bezahlte ihren Kaffee und bemerkte, dass in der Tiefkühltruhe Schlumpfeis wieder vorrätig war. Sie nahm den Pappbecher mit nach draußen und ließ sich, scheinbar ziellos, durch das weitläufige Gelände des Tierparks treiben. Vor dem Pekari-Gehege blieb sie stehen und betrachtete die Schweine, die sich vor der Mittagshitze in den Schatten ihres Holzverschlags zurückgezogen hatten und dösten. Täuschte sie sich, oder war die Rotte geschrumpft? In ihrer Erinnerung waren es mindestens ein Dutzend dieser Tiere gewesen, die in die Klinik gebracht worden waren. Jetzt zählte sie gerade einmal sechs.
Wer weiß, was Haussmann mit ihnen angestellt hatte, um an das heranzukommen, was sie verschlungen hatten. Niedlich sahen sie aus. Wie eine Kreuzung aus Wildschwein und Tapir. Schmale Köpfe, lange Rüssel, dunkelgraues bis schwarzes, borstiges Fell. Das Gefährliche an ihnen waren die Eckzähne: kürzer als die anderer Schweine, keine Hauer, aber scharf wie Dolche.
Tier, das viele Wege durch den Wald macht, las sie auf der Tafel vor dem Geländer. Tier, das Jaguare und Pumas in die Flucht schlägt. Tier, das Menschen tötet, wen man es reizt. Tier, das frisst, wenn es Hunger hat.
Welchen Hass hatte Leyendecker auf sich geladen? Was hatte ihn zum Opfer eines solchen Verbrechens gemacht? Wirklich nur der reine Zufall? Sie schlenderte weiter in Richtung Alfred-Brehm-Haus, vorbei an Wölfen, Nilpferden, Zebras und Elefanten. Schließlich erspähte sie die luftige Konstruktion der Tropenhalle, in der exotische Vögel und Gewächse beheimatet waren. Hinter dem Haus wurde das Grün üppiger, Büsche und Bäume wucherten ungehindert und bildeten einen natürlichen Wall, der die Tierparkbesucher davon abhielt weiterzugehen. Hier war das Ende der Besucherzone. Ein schmaler Weg, abgesperrt mit einer
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