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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ging einen Schritt näher und sah, daß jemand Bonnie fest an den Körper gedrückt hielt.
    Und im selben Moment erkannte ich, daß der Steinhaufen der Rest von Neb Cottage war und der Mann, der Bonnie festhielt, war Benny Lightfoot.
    Er sagte: »Bist du das, Betsy Allgood?«
    Seine Stimme war tief und unheimlich und sein Gesicht so schmal und seine Augen so starr, daß er aussah wie einer von diesen Nixen, die ich mal in einem alten Bilderbuch gesehen hatte. Noch nie zuvor hatte ich solche Angst gehabt, und auch nie mehr danach. Bloß, er hatte Bonnie, und ich wußte, daß Nixe alles auffraßen, was sie sich schnappten, Lämmer oder Hunde oder Katzen.
    Also sagte ich: »Ja, bin ich.«
    »Und du bist gekommen und hast nach mir gerufen?« fragte er irgendwie verwundert.
    Ich sagte: »Nein, ich hab nach meinem Kater gerufen.« Da merkte ich dann, wie er drauf gekommen war, und sagte weiter: »Er heißt Bonnie. Das hab ich gerufen. Bonnie nicht Benny.«
    »Bonnie, nicht Benny«, wiederholte er. Dann lächelte er so komisch und sagte: »Macht nichts, jetzt bist du ja hier, Betsy Allgood. Komm her.«
    »Nein, ich will nicht«, sagte ich.
    »Du meinst, du willst deinen Kater nicht holen?«
    Er hielt Bonnie mit beiden Händen hoch und muß ihn gedrückt haben oder so, weil Bonnie vor Schmerzen aufjaulte. Ich wollte eigentlich gar nix tun, aber ich merkte, wie ich trotzdem auf ihn zuging.
    Er stand viel weiter oben als ich, weil er höher am Berg war und außerdem auf einem Stein von dem Cottage stand, und er streckte mir Bonnie entgegen. Ich griff hoch, um ihn zu packen, aber als meine Finger fast sein Fell berührten, zog Benny ihn mit einer Hand zurück und packte mich mit der anderen am Arm.
    Ich fing an zu schreien, und er zog mich näher an sich ran und griff mir mit den Fingern so fest in meinen Arm, daß ich dachte, er bricht mir gleich den Knochen. Sein Gesicht kam auf mich zu, und ich konnte seinen Atem auf meinem Gesicht spüren und seine kalten, feuchten Lippen an meinem Hals, und er flüsterte mit grausiger atemloser Stimme: »Hör zu, hör zu, kleine Betsy. Ich will dir nix tun, ich will bloß, daß du …«
    Aber weil ich mich so sehr wehrte, um wegzukommen, muß er wohl seinen Griff um Bonnie gelockert haben, und Bonnie sprang hoch in die Luft und hielt sich dann mit seinen Krallen an Bennys Gesicht fest, um nicht runterzufallen.
    Jetzt schrie Benny auf. Er ließ mich los, um Bonnie zu packen, aber Bonnie fiel schon zu Boden, und ich bückte mich und hob ihn auf. Benny griff wieder nach mir, ich spürte, wie seine Finger mein Haar berührten, aber es war so kurz und naß, daß er es nicht zufassen bekam, und dann rannte ich so schnell weg, wie ich konnte, mit Bonnie auf dem Arm.
    Wie weit ich rannte, weiß ich nicht mehr. Bestimmt nicht allzu weit. Der Boden war naß und rutschig und voller Steine, und ich stolperte und fiel hin. Mein Knöchel tat mir weh, und ich versuchte gar nicht erst aufzustehen, sondern wälzte mich unter einen großen Felsblock und blieb liegen. Ich mußte so laut keuchen, daß ich dachte, man kann mich noch meilenweit hören. Aber allmählich wurde es besser, und Bonnie, den ich fest an mich gedrückt hielt, merkte wohl, daß er jetzt nicht maunzen durfte, und schließlich konnte ich wieder das Rauschen vom Regen hören und das Donnern vom White Mare’s Tail und das Tosen von dem neuen Fluß, der vom Black Moss runterkam.
    Da waren noch andere Geräusche, Schritte, Rascheln, Atmen, was von Benny kommen konnte, der mich suchte, also machte ich die Augen zu und lag, so still ich konnte, und versuchte, meine Gebete zu sprechen, wie Reverend Disjohn es mir beigebracht hatte. Aber ich konnte sie nicht in Gedanken aufsagen und traute mich nicht, sie laut zu sprechen aus Angst vor den scharfen Ohren, die da draußen nach mir horchten. Am Ende, glaube ich, bin ich eingeschlafen. Oder vielleicht hatte ich auch angefangen zu sterben. Vielleicht ist es dasselbe. Einen Moment bist du noch da, den nächsten bist du nirgends mehr.
    Dann plötzlich hoben mich Arme aus dieser friedlichen Dunkelheit raus und hielten mich fest, und eine Stimme rief in mein Ohr. Eine Sekunde lang wehrte ich mich ganz doll, weil ich dachte, daß Benny mich wieder gekriegt hätte. Aber dann erkannte ich den Geruch von dem Körper, an den ich gedrückt wurde, und die Stimme, die in mein Ohr rief, und ich wußte, es war mein Dad, der mich gepackt hatte, und ich klammerte mich an ihn, so fest ich nur konnte, und wußte,

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