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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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alten Bekannten aus Dendale, die sie besuchen kam, erzählte mir, daß diese Winifred Fleck Agnes’ Nichte sei. Sie hatten sich gegenseitig Weihnachtskarten geschrieben, weil sie eben verwandt waren, aber ansonsten herrschten wohl kaum familiäre Gefühle. Ich schrieb ihr aber trotzdem, weil ich – wie Peter Pascoe – gern allen Möglichkeiten nachgehe, egal, wie unwahrscheinlich sie sind.«
    Sie lächelte dabei, vermutlich um zu zeigen, daß es als Scherz gemeint war und nicht als Seitenhieb. Novello probierte ein Lächeln, um zu zeigen, daß ihr das eine wie das andere egal war, und sagte: »Aber in diesem Fall wurde die unwahrscheinliche Möglichkeit zur Wirklichkeit, stimmt’s?«
    »Das stimmt. Mrs. Winifred Fleck tauchte eines Tages im Krankenhaus auf, plauderte mit Agnes und benachrichtigte dann die Behörde, daß sie ihre Tante mit zu sich nach Hause nehme.«
    »Nette, fürsorgliche Frau«, meinte Novello anerkennend.
    »Und außerdem qualifiziert. Sie hatte früher in einem Pflegeheim gearbeitet und wußte, was auf sie zukam.«
    »Aber Sie mochten sie nicht«, stellte Novello fest, froh, zeigen zu können, daß auch sie Zwischentöne bemerkte.
    »Nicht besonders. Aber das heißt nichts. Ich kann auch nicht gerade sagen, daß mir die alte Agnes besonders ans Herz gewachsen war. Man mußte ihre Willenskraft bewundern und ihre Unabhängigkeit, aber in ihren Augen war ich eine Autoritätsperson, und Autoritätspersonen gegenüber war sie nicht sonderlich bemüht, sich von der besten Seite zu zeigen. Jedenfalls war sie zurechnungsfähig, so daß ich Agnes nicht einmal dann hätte daran hindern können, bei ihrer Nichte einzuziehen, wenn sie gerade aus dem Gefängnis entlassen worden wäre, weil sie Altersheiminsassen mißhandelt hatte.«
    »Und sie stimmte zu?«
    »Sie unterschrieb alle Entlassungspapiere und machte sich nicht mal die Mühe, jemandem zu danken. Dann wurde sie von Winifred in ein Auto verfrachtet, und weg war sie.«
    »Und Sie haben nichts mehr von ihr gehört?«
    »Ich reichte die Unterlagen an das zuständige Sozialamt in Sheffield weiter und rief einige Wochen später noch einmal an. Sie sagten, es sei alles in Ordnung, Mrs. Fleck nehme ihre Verantwortung ernst und habe alle Zuschüsse und Pflegegelder beantragt.«
    »Und das war der Beweis dafür, daß sie die Sache ernst nimmt?«
    »An sich nicht, aber das autorisierte die entsprechende Behörde, die Sachlage hin und wieder persönlich zu überprüfen. Wir verteilen unsere Gelder nicht verschwenderisch und ohne Nachkontrolle, müssen Sie wissen.«
    »Nein. Entschuldigen Sie. Und haben Sie seither was von ihr gehört?«
    »Nein. Ich hab genug eigene Sorgen, um mich um die anderer Leute zu kümmern.«
    »Natürlich. Wobei Sie allerdings die Leiter ein wenig höher geklettert sind«, sagte Novello.
    »Und einen besseren Ausblick habe, meinen Sie?« Ms. Plowright grinste. »Kommt drauf an, in welche Richtung man blickt. Ich bin sicher, das werden Sie eines Tages selbst herausfinden. Sind wir fertig?«
    »Sobald Sie mir die Adresse von Mrs. Fleck gegeben haben.«
    Sie war bereits auf einen einfachen Zettel getippt worden.
    Winifred Fleck, 9 Branwell Close, Hattersley, Sheffield (Süd).
    Während Novello den Zettel sorgsam faltete und in ihre Umhängetasche steckte, dachte sie, diese Frau muß in aller Herrgottsfrühe aufgestanden sein, um all diese alten Akten auszugraben und sich so gründlich auf das Gespräch vorzubereiten. Wäre sie wohl ebenso gründlich und kooperativ gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß die Magd kommt und nicht der Herr?
    Miau! Fügte sie schuldbewußt hinzu.
    Sie stand auf, streckte die Hand aus und sagte: »Danke, daß Sie so hilfsbereit waren.«
    »War ich das? Dann haben Sie also Ihre Meinung geändert, daß es Zeitverschwendung war?«
    Sie sprach vollkommen ernst, und eine Sekunde lang schwankte Novello zwischen höflicher Unehrlichkeit und ehrlicher Unhöflichkeit.
    Dann lachte Jeannie Plowright laut auf und sagte: »Keine Sorge, meine Liebe. Auch Peter läßt hin und wieder die Maske fallen. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.«
    Novello ging zügig und zornig die Treppen hinunter.
    Blöde arrogante Ziege! Bei einem Mann wußte man zumindest, woran man war – selbst wenn man in der Gosse lag und getreten wurde.
    Bis sie das Erdgeschoß erreichte, hatte sie sich etwas beruhigt. Vielleicht war es ihre eigene Schuld. Sie wußte, daß sie Inspector Maggie Burroughs immer mit einer Art aggressivem Vorbehalt

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