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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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gegenübertrat, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie erwarte so etwas wie schwesterlichen Beistand. Nicht, daß sie den nicht hätte haben wollen, aber es sollte nicht so aussehen, als erwarte sie ihn. Vielleicht hatte diese trotzige »Ich mach’s auf meine Weise«-Haltung ihren Ton gegenüber Jeannie Plowright beeinträchtigt.
    Sie mußte lächeln und machte sich auf die Suche nach einer Telefonzelle.
    In der Zentrale fragte sie direkt nach Wield und resümierte nüchtern das Gespräch, indem sie die Lektionen anwandte, die sie von ihm gelernt hatte.
    »Und was soll ich jetzt tun, Chef?« wollte sie am Ende wissen.
    Er zögerte und sagte dann: »Tja, der Superintendent ist im Moment noch mit Turnbull zugange …«
    »Irgendwas dabei rausgekommen?«
    »Nicht viel. Wenn die Zeit abgelaufen ist, wird er wahrscheinlich wieder gehen. Hören Sie, ich glaube, Sie sollten der Sache nachgehen, selbst wenn es nur eine Sackgasse ist. Ich sage in Sheffield Bescheid, damit Sie nicht verhaftet werden, weil Sie sich für eine Polizistin ausgeben.«
    »Wenn Sie meinen, Chef«, erwiderte sie mutlos.
    »Glauben Sie mir, ich wünschte, ich könnte mit Ihnen fahren«, sagte Wield. »Dies ist nicht unbedingt ein schöner Ort, wenn Geordie wieder nach Hause geht.«
    Wollte er nur nett sein? überlegte sie, als sie in ihren Wagen stieg. Oder meinte er das so?
    Ein bißchen von beidem, vermutete sie.
    Aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, daß sie sich vom wahren Mittelpunkt des Falls entfernte, während sie nach Süden aufbrach.

Drei
    P eter Pascoe beobachtete den Sonnenaufgang vom Dach des Krankenhauses aus.
    »Na gut«, sagte er und applaudierte. »Du bist ja so verdammt klug, dann zeig mir mal, was du für meine Tochter tun kannst.«
    Hinter sich hörte er ein Geräusch, und als er sich umdrehte, sah er Jill Purlingstone an das Schutzgitter gelehnt auf der Brüstung sitzen und eine Zigarette rauchen. Er vermutete, daß sie absichtlich mit den Füßen gescharrt hatte oder ähnliches, um ihn wissen zu lassen, daß er nicht allein war. Nicht, daß es ihm etwas ausmachte.
    Er sagte: »Scheint ein schöner Tag zu werden.«
    Sie erwiderte: »Für uns sind die Regentage die schönen.«
    Sie sah vollkommen fertig aus.
    Er sagte: »Ich wußte gar nicht, daß Sie rauchen.«
    »Ich hab’s aufgegeben, als ich schwanger war.«
    Dann ist dies ein schlechter Zeitpunkt, es wieder anzufangen, dachte er abergläubisch.
    Als hätte er es laut gesagt, entgegnete sie wie zu ihrer Verteidigung: »Ich brauchte irgend etwas, und Betrinken schien mir keine gute Idee.«
    »Klingt aber auch verlockend«, meinte Pascoe.
    Er mochte Jill. Sie war so absolut nüchtern angesichts aller Versuchungen abzuheben. Sie und ihr Mann kamen ursprünglich aus der unteren Mittelschicht wie er, und der spontane Reichtum (der kein Mythos war; die Gehälter und Aktienbezugsrechte aller Direktoren der Wassergesellschaft waren oft genug in kritischen Artikeln der Lokalzeitungen aufgelistet worden) hatte sie kaum verändert. Derek Purlingstone hingegen hatte sich – absichtlich oder instinktiv – neu erschaffen und war zum perfekten Privilegiertensohn geworden.
    Pascoe, Ellie und Jill hatten die Nacht im Krankenhaus verbracht. Es waren nur sehr wenige Zusatzbetten für Angehörige verfügbar, und man hatte ihnen vorgeschlagen, daß die Männer nach Hause fuhren und nur die Frauen blieben. Purlingstone hatte sich überreden lassen, Pascoe nicht einmal zugehört. »Nein«, hatte er gesagt und war einfach weggegangen.
    »Sonntag war so ein schöner Tag«, sagte Jill. »Sie wissen schon, einer von diesen vollkommenen Tagen.«
    Warum zum Teufel redet sie von Sonntag? fragte sich Pascoe. Dann begriff er. Sie suchte nach etwas, um sich vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren, und Sonntag, der letzte Tag vor dem Ausbruch der Krankheit, wurde zu einem Bild der Vollkommenheit retuschiert.
    »Alles lief einfach perfekt, Sie wissen, wie das manchmal ist«, fuhr sie fort, nachdem sie eine neue Zigarette an der alten angezündet hatte. »Wir sind früh aufgestanden und haben das Auto vollgepackt. Ich wollte den Tisch fürs Frühstück decken, aber Derek meinte, nein, mach dir damit keine Umstände, wir essen auf dem Weg, also haben wir alles mitgenommen, Milch, Cornflakes, Orangensaft, Brötchen und so weiter, und nach einiger Zeit haben wir angehalten und uns zum Frühstückspicknick ins Gras gesetzt. Durch Dereks Fernglas haben wir einen Adler gesehen, na ja, es war

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