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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Pascoe, unfähig, großes Interesse aufzubringen. Beschämt fügte er dann hinzu: »Wissen Sie, ob Andy etwas wegen meiner Verabredung mit Jeannie Plowright heute morgen unternommen hat?«
    »Ja. Er hat Novello hingeschickt.«
    Pascoe lächelte schwach.
    »Na ja. War sowieso keine besonders gute Idee.«
    »Das klingt aber ein bißchen sexistisch«, schalt Wield.
    »Nein, sie ist eine gute Polizistin. Ich glaube nur, daß Andy selbst hingegangen wäre, wenn er die leiseste Aussicht auf Erfolg verspürt hätte.«
    »Andy wird genug damit zu tun haben, in Danby die Daumenschrauben anzusetzen, und da muß ich jetzt auch hin.«
    »Sie haben einen Riesenumweg gemacht. Danke vielmals, Wieldy.«
    »Ach, na ja. Ich melde mich wieder. Halten Sie die Ohren steif. Tschüs.«
    »Tschüs.«
    Er berührte den jüngeren Mann am Arm, drehte sich um und ging.
    Pascoe blickte ihm nach. Die Begegnung hatte ihm Trost vermittelt, das konnte er nicht leugnen. Aber nun, wieder allein, suchte er erneut nach Schuldigen. Worauf war er gerade gekommen, als er die Stufen hinunterrannte? Ach ja. Die Welt und sich selbst.
    Er ging zurück ins Krankenzimmer.
    »Hast du Wieldy getroffen?« fragte Ellie.
    »Ja.«
    »Es war schön, ihn zu sehen«, sagte sie.
    »Ja.«
    Er blickte von ihrem Gesicht zu Rosies, von der Blüte zur Knospe, und spürte, er würde der Verantwortung weder entgehen noch sie ertragen können, wenn hier irgend etwas Schreckliches geschah. Die Welt war vor seiner Wut sicher. Er müßte sie schon gegen sich selbst richten.
    »Warum gehst du nicht ein bißchen spazieren?« fragte er. »Jill ist auf dem Dach und raucht. Oder hol dir einen Kaffee. Geh nur. Ich bleibe hier.«
    »Einverstanden«, sagte sie, unfähig, sich seinem sanften Drängen zu widersetzen. »Ich bleibe nicht lang.«
    Sie verließ das Zimmer wie eine Schlafwandlerin.
    Mist, dachte er. Sie gibt sich ebenfalls die Schuld. Was Blödsinn ist, wo es doch meine Schuld ist. Alles ist meine Schuld.
    »Selbst die Arbeitslosigkeit ist meine Schuld«, sagte er laut. »Hörst du das, meine Kleine? Und dein Vater hat zwar keine Millionen in Aktienanteile gesteckt, aber wahrscheinlich ist auch die Wasserknappheit seine Schuld.«
    Der alte Trick, seine Ängste bis ins Absurde zu übertreiben, schien zu funktionieren. Er setzte sich ans Bett und nahm die Hand seiner Tochter.
    »Ja, meine Süße, ich bin’s«, sagte er. »Aber das hast du bestimmt schon gemerkt. Meine weichen Konzertpianistenhände sind ganz anders als die rauhen, hornhäutigen Pranken deiner Mutter. Aber die steckt auch die ganze Zeit bis zu den Ellbogen in Seifenwasser, wenn sie nicht gerade draußen ist und Sisal erntet.«
    Er schwieg. Sie hatten sich erkundigt, ob es helfen würde, mit Rosie zu sprechen, und ein unverbindliches »Kann nicht schaden« zur Antwort bekommen. Toll. Aber konnte sie ihn tatsächlich hören? Das mußte er unbedingt wissen. Nein, er mußte es nicht wissen. Wenn nur die leiseste Aussicht bestand, daß seine Stimme irgendeinen Einfluß auf sie hatte, würde er sich die Stimmbänder wund reden. Aber was sollte er sagen? Er bezweifelte, daß seine selbstquälerischen Grübeleien therapeutische Wirkung hatten. Wie sollte es seiner Tochter helfen, wenn sie erfuhr, daß ihr Vater ein egozentrischer Neurotiker war?
    Er betrachtete den Haufen Sachen, die sie für Rosie mitgebracht hatten, Lieblingspuppen, Kleider, Bücher – ein großer Haufen, um sich selbst zu versichern, daß sie bald wieder gesund sein würde.
    Obenauf lag »Nina und der Nix«. Er nahm das Buch, öffnete es und begann laut zu lesen.
    »Es war einmal ein Nix, der lebte an einem Teich in einer Höhle unter einem Berg …«

Vier
    H attersley erwies sich als weit auseinandergezogene Siedlung am südwestlichen Rand von Sheffield, deren Straßengewirr durch den ausschließlichen Gebrauch von Namen aus der Brontë-Familie zusätzliche Unübersichtlichkeit erhielt. Selbst unter Einbeziehung der im Kindesalter verstorbenen Schwestern Maria und Elizabeth standen nur sieben Namen zur Verfügung, und dieser Mangel wurde dadurch wettgemacht, daß es jeden Namen als Straße, Weg, Pfad, Steg, Steig, Gasse, Koppel, Hain, Platz und Ring gab.
    Eine Gegend, dachte Novello, die zur Strafversetzung von Postboten geeignet war.
    Sie brauchte eine halbe Stunde, um Branwell Close zu finden, aber dort angekommen, stieg sie nicht sofort aus ihrem Wagen. Nicht, weil sie erhitzt und derangiert war, sondern weil der Anblick des Hauses Nummer 9 sie

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