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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ließ ihn nicht durch. Sie widersprach ihm selten, wenn er wütend war, aber diesmal tat sie es und sagte, er sollte lieber noch mal drüber schlafen. Sie wüßte ebensogut wie er, daß es nicht recht wäre und ihm Stirps End so gut wie versprochen war, aber Mr. Pontifex hätte es Cedric Hardcastle sicher aus seinem Schuldgefühl heraus gegeben.
    »Schuldgefühl wegen was?« brüllte mein Vater.
    »Weil er denkt, daß er der Auslöser für all das Unglück in Dendale gewesen ist, weil er sein Land der Wasserbehörde verkauft hat. Also hat er Ced den Hof gegeben, weil sie Madge verloren haben, und dabei sind wir die Glücklichen, denn wir haben vielleicht nicht Stirps End, aber wir haben immer noch unsere Betsy!«
    Als sie das sagte, guckte mein Vater langsam zu mir rüber, und seine Augen waren so schwarz wie ein Kohlenkasten, und ich wußte, er dachte, daß er lieber den Hof gehabt hätte.
    Na ja, er wartete mit seinem Besuch bei Mr. Pontifex bis zum nächsten Morgen, aber das hat wohl auch nix genützt, wie man so hörte, und er kam zurück und meinte, wir sollten am besten zusammenpacken, weil er Mr. Pontifex gesagt hätte, er scheißt auf seinen Job, und wahrscheinlich würde der alte Mistkerl noch vor Sonnenuntergang mit dem Gerichtsvollzieher anrücken, um uns aus dem Haus zu werfen.
    Mr. Pontifex kam tatsächlich später vorbei, aber er war allein und redete erst ’ne ganze Weile mit meiner Mam, weil Dad sofort hinten auf den Hof rausging, als er vorne reinkam. Dann redete er mit allen beiden, und das Ergebnis war, daß Dad als sein Schafhirte mit ’n bißchen mehr Kohle dablieb und mit einer Option auf den nächsten Hof, der frei würde. Aber das wäre, wie drauf zu warten, daß ein Methodist zu trinken anfängt, meinte mein Dad, weil er sah, daß alle Höfe von Mr. Pontifex an Familien verpachtet waren, deren Söhne die Pacht vererbt bekamen. Und obwohl er mich diesmal nicht ansah, wußte ich, daß er wieder an mich dachte.
    Also war jetzt alles verdorben. Eine Weile, nachdem wir Dendale verlassen hatten, dachte ich, daß alles gut werden würde, aber jetzt war es wieder so wie früher, nur schlimmer, weil es Mam wieder schlechter ging und weil Dad rumlief, als wäre er absolut am Ende und könnte bloß nicht aufhören rumzulaufen.
    So war das also, wissen Sie, für alle von uns, meine ich. Es ist komisch, daß man innendrin wissen kann, daß alles am Ende ist und alles sinnlos ist, aber nach außen lebt man einfach weiter, wie wenn sich nix geändert hätte, wie wenn es Sinn hätte, weiter zur Schule zu gehen und den Unterricht mitzumachen und Sachen auswendig zu lernen, die einem für die Zukunft helfen sollen.
    Ich weiß nicht, wie lange das so weiterging. Es hätte immer so weitergehen können, glaube ich. Manche Leute sind schon vierzig Jahre tot, bevor sie begraben werden, meinte Dad immer. Ich war in der letzten Klasse und sollte das nächste Jahr zur höheren Schule kommen. Ich weiß noch, wie ich dachte, daß dann für mich vielleicht alles anders wird, irgendwie. Eines Tages gaben sie uns eine Menge Zeug darüber, und ich nahm es mit nach Hause, um es Mam zu zeigen.
    Und da kam ich nach Hause, und sie war tot.
    Nein, ich will nicht drüber reden. Worüber soll ich reden? Sie hatte gelebt, jetzt war sie tot. Ende.
    Übrig blieben ich und Dad.
    Sie wollten mich wegbringen, daß ich bei jemand anders lebe. Sie wollten Tante Chloe schreiben und fragen, ob sie helfen könnte.
    Aber ich sagte nein, ich will zu Hause bleiben und mich um Dad kümmern. Jemand mußte sich doch jetzt um ihn kümmern, oder? Und weil Mam so lange krank gewesen war, hatte ich sowieso die meisten Sachen im Haus allein gemacht, wo war da also der Unterschied? Sie sagten, es müßte jemand vom Sozialamt zum Helfen kommen, und obwohl ich das gar nicht wollte, sagte ich okay, weil ich merkte, daß sie anders nicht zugestimmt hätten.
    So haben wir’s also gemacht, und es war eine Zeitlang ganz gut und wäre wohl für immer in Ordnung gewesen, wenn Dad nur seinen Hof bekommen hätte und Mam nicht einfach so gestorben war und wenn …
    Jedenfalls ging er eines Morgens raus, und ich sah ihn nie wieder. Sie sagten, er wäre über den Leichenpfad runter nach Dendale gegangen und rüber auf die andere Seite vom Stausee an die Stelle, die Low Beulah am nächsten war. Da hat er seine Taschen mit Steinen gefüllt und ist ins Wasser gegangen, so daß die Taucher ihn ganz nah bei dem Steinhaufen fanden, der unser altes Haus gewesen

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