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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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war.
    Ich sagte, das stimmt nicht, er ist nicht tot, er ist nur weggegangen und wird eines Tages zu mir zurückkommen. Sie wollten, daß ich sein Gesicht ansehe, bevor sie den Sarg zumachten und ihn begruben, aber das wollte ich nicht. Natürlich weiß ich, daß er tot ist, aber das ist nicht das gleiche, wie wenn man es ganz sicher weiß, oder? Das hat Dad immer gesagt. Man kann was wissen, und man kann was ganz sicher wissen, und in dem Raum dazwischen kann ein Mensch verlorengehen. Genau da ist er für mich, in diesem Raum. Verloren.
    Und danach? Nachdem ich hier zu Tante Chloe gekommen bin? Ich mußte was tun, das werden Sie verstehen. Die Dinge hören nicht auf und fangen einfach wieder an, als sei nix passiert. Aber man kann die Dinge ändern. Ich hab in einem Buch über diese Sängerin Callas gelesen, wie häßlich und was für ’n Fettbrocken sie gewesen ist und sich dann verändert hat, und das wollte ich auch, mich verändern; so kam es, daß ich meinen Kopf verätzt hab und alles. Wie Mary? Oja, ich wollte wie Mary sein. Und Madge. Und Jenny. Ich wollte wie alle die sein, die vermißt und herbeigesehnt wurden …
    Das ist alles. Sie haben gesagt, ich soll nur über die alten Zeiten reden, nicht über jetzt, wenn ich nicht will. Tja, ich will nicht. Und ich will auch nicht, daß Tante Chloe das alles hier hört, auf keinen Fall. Aber er oja, ihm können Sie’s zeigen, wenn Sie wollen. Lassen Sie ihn ruhig hören, wie es ist, ich zu sein. Ich hätte gern, daß er das versteht, ja, sicher. Denn wer ist sonst noch auf der Welt, der das verstehen kann?

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    Vierter Tag
    Kindertotenlieder

Eins
    D ie »Kindertotenlieder« werden normalerweise in ihrer Originalsprache Deutsch gesungen, doch die junge Mezzosopranistin Elizabeth Wulfstan befürchtete, daß dem englischen Publikum bei einem Konzert Wesentliches verlorengeht, weil die meisten Zuhörer den Inhalt nur anhand eines Programmhefts verstehen können. Da sie keine Übersetzung des Liederzyklus fand, die ihr gefiel, dichtete sie selbst eine, wobei sie nicht zögerte, hin und wieder auf ihr Yorkshire-Idiom zurückzugreifen.
    Die Texte stammen ursprünglich von dem deutschen Dichter Friedrich Rückert (1788–1866), der nach dem Tod seines Sohnes über vierhundert Klagegedichte verfaßte – manche davon handeln speziell von seinem Schicksal, manche vom Tod allgemein. Gustav Mahler wählte fünf der Gedichte für seinen Liederzyklus aus. Sein Interesse bei der Bearbeitung galt in erster Linie der Kunst und Phantasie. Als er im Jahre 1901 damit begann, war er unverheiratet und kinderlos. Als er den Zyklus 1905 beendete, hatte er Alma Schindler geheiratet und zwei Kinder mit ihr. Nach ihrer Geburt konnte Alma seine fortwährende Besessenheit von den Rückert-Gedichten nicht verstehen, und abergläubisch sah sie darin eine leichtsinnige Versuchung des Schicksals. Der Tod ihrer ältesten Tochter durch Scharlach im Jahr 1907 schien ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen.
    I
    Nun will die Sonn’ so hell aufgeh’n,
Als sei kein Unglück die Nacht gescheh’n.
Das Unglück geschah nur mir allein,
Die Sonne, sie scheinet allgemein.

Du mußt nicht die Nacht in dir verschränken,
Mußt sie ins ew’ge Licht versenken.
Ein Lämplein verlosch in meinem Zelt,
Heil sei dem Freudenlicht der Welt!
     
    And now the sun will rise as bright
As though no horror had touched the night.
The horror affected me alone.
The sunlight illumines everyone.

You must not dam up that dark infernal,
But drown it deep in light eternal!
So deep in my heart a small flame died.
Hall to the joyous morningtide!
     
    II
    Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen
Ihr sprühet mir in manchem Augenblicke,
O Augen!
Gleichsam um voll in einem Blicke
Zu drängen eure ganze Macht zusammen.
Doch ahnt’ ich nicht, weil Nebel mich umschwammen,
Gewoben von verblendendem Geschicke,
Daß sich der Strahl bereits zur Heimkehr schicke,
Dorthin, von wannen alle Strahlen stammen.

Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen:
Wir möchten nah dir bleiben gerne,
Doch ist uns das vom Schicksal abgeschlagen.
Sieh uns nur an, denn bald sind wir dir ferne!
Was dir nur Augen sind in diesen Tagen,
In künft’gen Nächten sind es dir nur Sterne.
     
    At last I think I see the explanation
Of those dark flames in many glances burning.
Such glances!
As though in just one look so burning
You’d concentrate your whole soul’s conflagration.
I could not guess, lost in the obfuscation
Of blinding fate which

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