Das Dorf der verschwundenen Kinder
gehört!
»Dann ist es aber nett von dir, daß du mich besuchen kommst, Nina«, sagte der Nix.
»Es ist nett von dir, daß du mich einlädst«, erwiderte Nina höflich, wie sie es gelernt hatte. »Aber ich möchte jetzt bitte wieder nach Hause gehen, denn es ist Zeit für mein Essen.«
»Für mein Essen ist die Zeit schon lang vorbei«, fauchte der Nix. Doch dann fuhr er mit seinem schrecklichen Grinsen fort: »Ich habe einen Vorschlag, Nina. Es ist so heiß – warum schwimmst du nicht noch ein wenig, bevor du gehst?«
Nina blickte auf den gräßlichen Teich und schüttelte den Kopf.
»Nein, danke«, sagte sie. »Mein Vater sagt, ich soll nie allein schwimmen gehen. Nur, wenn jemand auf mich aufpaßt, der größer ist als ich.«
»Keine Bange«, sagte der Nix und stand auf. »Ich bin größer als du, und ich werde auf dich aufpassen.«
Er ging um den Teich herum auf sie zu. In diesem Augenblick klang eine Stimme von weit draußen durch den Gang hinab.
»Nina! Nina!« rief die Stimme.
»Das ist mein Vater!« rief Nina. »Ich komme. Ich komme!«
Und sie rappelte sich auf, um durch den Gang hinauszulaufen, aber sie war nur ein kleines Stück vorangekommen, als diese schrecklichen Hände sie an den Knöcheln packten und wieder nach unten zogen.
Von oben konnte sie noch immer die Stimme ihres Vaters hören, aber sie klang schon schwächer, und bald war sie weit entfernt, und dann hörte sie gar nichts mehr.
Sie lag am Rande des Teichs, und der Nix stand drohend über ihr.
»Warte nur, bis mein Vater dich zu fassen kriegt«, schluchzte sie. »Er dreht dir den Hals um wie einem Huhn für die Suppe.«
»Dazu muß er mich erst fangen«, lachte der Nix. »Und nun laß uns schwimmen gehen.«
Nina blickte zu ihm auf und sah, daß er stark genug war, sie zu allem zu zwingen, was er von ihr wollte. Es hatte also keinen Sinn, sich zu wehren. Was sagte ihre Mutter immer? Der liebe Gott hat die Männer stark, uns Frauen aber schlau gemacht. Warum die Fäuste gebrauchen, wenn man einen Kopf hat? Und ihr Vater prahlte doch immer damit, daß sie ein ganz heller Kopf war.
Tja, nun war der Zeitpunkt gekommen zu beweisen, wie schlau sie wirklich war.
»Also gut«, sagte Nina. »Aber ich muß mich erst saubermachen.«
Sie stand auf und fing an, ihr Kleid abzuklopfen, das im Gang ganz staubig geworden war. Dann nahm sie die Bänder aus ihren Zöpfen, entflocht ihr Haar und kämmte es mit den Fingern, so daß es wie ein heller Wasserfall über ihre Schultern fiel.
Und die ganze Zeit beobachtete sie der Nix mit Augen wie glühende Kohlen.
»So«, sagte Nina. »Jetzt bin ich fertig, Aber du mußt mit mir reinspringen und mir beim Schwimmen helfen.«
»Nimm dich in acht, Nix«, piepste die Fledermaus. »Sie sind hinterhältig wie die Spinnen, diese jungen Dinger.«
Doch der Nix hörte nicht. Er war mit Augen und Gedanken ganz bei Nina.
Sie nahm seine Hand und ließ ihn neben sich auf einen großen Felsen klettern, der am Rand des Teiches stand.
Und sie sagte: »Ich zähle bis drei, und dann springen wir zusammen. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte der Nix.
»Eins«, zählte Nina.
»Und zwei«, zählte Nina.
»Und drei«, zählte Nina.
Und sie sprangen.
Nur, während der Nix vorwärts in den Teich sprang, ließ Nina seine Hand los und sprang rückwärts auf den Boden.
Dann drehte sie sich um und rannte so schnell, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt war, den Gang hinauf.
Der Nix brauchte nur eine Sekunde, um ihren Trick zu durchschauen.
Dann, brüllend vor Wut und triefend vor übelriechendem Schlamm und Wasser, zog er sich aus dem Teich und setzte ihr nach.
Oh, sie war schnell, aber er war schneller.
Sie wagte nicht, sich umzudrehen und dabei Zeit zu verlieren, aber sie konnte ihn hinter sich hören – seine scharfen Nägel, die auf dem Felsen kratzten wie Kreide auf einer blanken Schiefertafel, und seinen stinkenden Atem, schnaufend wie der Blasebalg von Bert, dem Schmied.
Ihr langes blondes Haar wehte hinter ihr, und sie spürte, wie er es mit der ausgestreckten Hand berührte. Sie rannte noch schneller, noch schneller, bis sie die Hand nicht mehr spüren konnte. Aber der Nix war ihr immer noch dicht auf den Fersen, und ihre Kraft ließ allmählich nach. Jetzt spürte sie seine Hand wieder, diesmal nah genug, um eine Strähne zu fassen.
Sie spürte, wie sein Griff fester wurde, wie er sich die Strähne um die Hand schlang, um sie noch fester zu greifen, und über sich sah sie das Ende des
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