Das Dorf der verschwundenen Kinder
kommt?«
»Nein«, sagte der Nix.
»Das kommt daher, weil die frechen kleinen Mädchen immer darin herumplanschen«, sagte die Fledermaus. »Hol dir eins von ihnen, und bald wirst du sehen, daß dein Teich wieder voller Wasser ist.«
Also stieg der Nix nach oben, um es mit eigenen Augen zu sehen. Es war so hell und heiß, daß er nur eine halbe Minute lang draußen bleiben konnte, aber es reichte, um zu sehen, daß die Fledermaus recht hatte. Der Dorfteich war noch immer voller Wasser, und die kleinen Kinder planschten noch immer darin herum.
Wieder unten in der Höhle angekommen, sagte er: »Du hast also recht, aber das hilft mir nicht viel. Wie soll ich eine von ihnen dazu bewegen, hierher zu kommen? Nachts sind sie alle in ihren Häusern eingesperrt, und wenn ich tagsüber hinausgehe, werde ich vertrocknen und sterben.«
»Dann muß sie eben zu dir kommen«, sagte die Fledermaus. »Geh heute nacht hinaus und sammle die schönsten Blumen, die du finden kannst, und pflanze sie vor den Eingang deiner Höhle. Dann setz dich hin und warte.«
In der Nacht schlich der Nix hinaus und wanderte kreuz und quer über Berg und Tal und riß alle Blumen aus der Erde, die er finden konnte, Margeriten und Stiefmütterchen, Aronstab und Labkraut, aber keinen Diptam, denn das ist eine Blume, die Nixe und derlei Wesen nicht leiden können. Und er pflanzte sie alle um den Eingang seiner Höhle.
Am nächsten Morgen machte Nina einen Spaziergang den Berg hinauf, bevor die Sonne zu heiß wurde. Sie wollte ein paar Blumen für ihre Mutter pflücken, aber es gab nicht viele, weil die Hitze den Boden ausgetrocknet und so hart gebacken hatte, daß selbst das Gras braun geworden war. Plötzlich erblickte sie eine Senke am Berghang, in der so viele Blumen blühten, daß sie wie ein Garten aussah. Sie eilte dorthin und hatte gerade die schönsten Blumen abgepflückt, als sie eine Stimme hörte: »Was glaubst du, was du da tust, kleines Mädchen? Stiehlst du denn immer Blumen aus anderer Leute Gärten?«
»Oh, tut mir leid«, rief Nina. »Ich wußte nicht, daß dies ein Garten ist, der jemandem gehört.«
»Nun, jetzt weißt du es«, sagte die Stimme.
Sie konnte nicht sehen, wer da sprach, aber die Stimme schien aus diesem Loch im Berg zu kommen. Also ging sie hin und sagte schüchtern: »Es tut mir wirklich leid. Ich lege sie hier vor die Höhle, ja?«
»Nein, wo du sie schon gepflückt hast, kannst du sie nun auch behalten«, sagte die Stimme.
»Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte Nina. »Aber wollen Sie nicht in Ihren Garten hinauskommen, wo ich Sie sehen kann?«
»Nein, Mädchen. Ich vertrage die Hitze nicht«, antwortete die Stimme. »Und ich habe mir gerade einen Krug eisgekühlte Limonade gemacht. Möchtest du auch davon trinken?«
Nina war tatsächlich sehr durstig von der Hitze und antwortete eifrig: »Ja, gern.«
»Gut, ich schenke dir etwas ein. Komm nur herein und hol es dir.«
Sie schob also die Blumen beiseite, die den Eingang zur Höhle umrankten, und trat hinein.
Im nächsten Augenblick spürte sie, wie jemand sie an den langen blonden Haaren zog, das sie zu zwei Zöpfen geflochten trug, und noch ehe sie schreien konnte, wurde sie einen langen Gang entlang ins Innere der Erde gezogen.
Dort lag sie nun im stinkenden Dunkel und schluchzte herzzerreißend.
Schließlich versiegten ihre Tränen, und sie rieb sich die Augen, setzte sich auf und sah sich um.
Draußen war die Sonne so hell, daß ein wenig Licht durch den Gang drang. Bei seinem schwachen Schein sah sie, daß sie in einer Höhle saß. Auf dem Boden lagen überall Steine verstreut, und in der Mitte der Höhle war ein kleiner, stinkender Teich, an dessen Ufer ein Ungeheuer saß.
Sein Körper war lang und schuppig, seine Finger und Zehen hatten lange gebogene Nägel, sein Gesicht war hager und ausgezehrt, seine Nase krumm, sein Kinn spitz mit nadelspitzen Bartstacheln, seine Augen lagen tief in den Höhlen und starrten sie an, und sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen, bei dem seine scharfen weißen Zähne sichtbar wurden.
»Wie geht es dir, Nina?« fragte das Ungeheuer.
»Wie geht es dir, Nix?« fragte sie leise zurück.
»Du weißt also, wer ich bin?« sprach der Nix.
»Ja. Meine Mutter hat mir von dir erzählt«, antwortete Nina.
Ihre Mutter hatte sie gewarnt, sie dürfe nie allein auf den Berg gehen, sonst käme der böse Nix, der im Berginnern lebt, um sie zu holen.
Jetzt wünschte sie mit aller Macht, sie hätte auf ihre Mutter
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