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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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vorhersehen. Man soll nie Arbeit und Vergnügen vermischen, sagte der Bischof zur Priorin. Dann fand ich meinen Glücksstern. Mrs. Quartermain. Fünfundsechzig. Witwe. Liebt die Arbeit. Und wohnt gleich unten an der Straße, im Pfarrhaus.«
    »Im Pfarrhaus?«
    »Stimmt, Schätzchen. Sie ist die Mutter vom Pfarrer. Er ist froh, sie mal loszusein, und ich bin froh, daß sie kommt. Aber ich gebe ihr frei, wenn was Bestimmtes los ist, und heute ist Ausflugstag der Senioren. Die würden ohne Mama Quartermain ihre Nase nicht über die Dorfgrenze strecken.«
    Er grinste sie an als Einladung, sich seinem Amüsement anzuschließen, obwohl der Witz eigentlich auf ihre Kosten ging. Novello merkte, daß sie zurücklächelte, und versuchte es dann zu verbergen, indem sie nach Wields Reaktion Ausschau hielt.
    Wield zeigte keinerlei Reaktion. Er war langsam einmal durch das Zimmer gegangen und hatte Aktenschrank, Pinnwand, Faxgerät und Kopierer begutachtet, die den Raum füllten, aber nicht verstellten. Dies war ein gut organisiertes Unternehmen. Das Unternehmen eines gut organisierten Mannes. War er in der Lage, seine geheimsten Bedürfnisse und Triebe mit derselben Präzision zu organisieren? fragte sich Wield, der über solche Dinge Bescheid wußte.
    »Sehr beeindruckend«, meinte er schließlich. »Gute Arbeit, Mr. Turnbull. Sie hatten aber noch kein eigenes Unternehmen, als Sie am Dendale-Staudamm arbeiteten, oder?«
    Dendale. Zum zweiten Mal. Und wieder schien es Turnbulls naturgegebene Fröhlichkeit zu trüben. Aber das war normal, oder etwa nicht? Das ginge jedem so, der damals dabeigewesen war. Du meine Güte, der Kerl hat mich schon so weit, daß ich ihn verteidige! dachte Novello.
    »Nein, ich hab damals für den alten Tommy Tiplake gearbeitet. Eigentlich als eine Art Juniorpartner. Soll heißen, ich bin auch in den schlechten Zeiten bei ihm geblieben. Er hatte keine eigene Familie, der alte Tommy, oder zumindest keine, die ihm was bedeutete, und wir kamen so prima zurecht, daß ich seinen Laden übernahm, als er sich zur Ruhe setzen mußte. Ich hatte sehr viel Glück. Ich hab nichts getan, um das zu verdienen, aber ich danke Gott jeden Tag für all seine Gaben.«
    Während er sprach, waren sie ins Wohnzimmer zurückgekehrt, und als sie sich wieder hinsetzten, hob er die Augenbrauen in Novellos Richtung, um ihr zu verstehen zu geben, daß sie zu den eben erwähnten Gaben dazu gehörte.
    »Ich wußte nicht, daß Sie ein so religiöser Mensch sind«, sagte Wield.
    »Das kommt wohl mit dem Alter, Mr. Wield. Na ja, es ist eine Abmachung, von der beide Seiten profitieren, oder? Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich die Pfarrersmutter beschäftige.«
    »Dann werden Sie mit all Ihren religiösen Gefühlen am Sonntagmorgen wohl in der Kirche gewesen sein«, meinte Wield.
    »Da war ich tatsächlich«, antwortete Turnbull. »Warum fragen Sie, Mr. Wield?«
    Du weißt, warum wir das fragen, dachte Novello. Es war in den Nachrichten. In der Zeitung. Sogar im »Daily Mirror«. Aber vielleicht wußtest du es auch schon vorher …
    Es war ein gedanklicher Nachtrag. Berufsbedingt. Sie mußte gegen seinen Charme ankämpfen, der Arbeitgeber dazu veranlaßte, ihm ihre Unternehmen zu überlassen, und Pfarrer, ihm ihre Mütter für die Buchführung zu schicken, und Gott wußte, was noch alles …
    »In welchem Gottesdienst?« fragte Wield weiter.
    »Morgenliturgie.«
    »Die ist um elf, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    »Und davor?«
    »Davor? Lassen Sie mich nachdenken …«
    Er runzelte die Stirn in einer Parodie des Nachdenkens.
    »Ich bin gegen neun aufgestanden. Ich kann mich erinnern, daß Alistair Cookes ›Letter From America‹ im Radio kam, als ich mich rasierte. Dann hab ich mir Kaffee und Toast gemacht und mich damit hinters Haus gesetzt, weil es schon ganz schön heiß wurde, und die Sonntagszeitung gelesen. Das hat wohl so ungefähr bis viertel vor zehn gedauert. Reicht Ihnen das, Mr. Wield, oder wollen Sie noch mehr?«
    Er konnte einen leicht gereizten Unterton nicht verbergen. Oder hätte ihn verbergen können, machte sich nur nicht die Mühe. Oder vielleicht war er überhaupt nicht gereizt.
    »Sie waren allein? Haben niemanden gesehen? Niemand hat Sie gesehen?«
    »Nicht, bis ich zur Kirche gegangen bin«, erwiderte Turnbull.
    »Wie weit liegt die entfernt?«
    »Am anderen Ende vom Dorf, etwa eine Meile.«
    »Sie gehen zu Fuß dahin?«
    »Manchmal. Kommt aufs Wetter an und was ich danach vorhabe.«
    »Und

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