Das Dorn-Projekt: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 3
auf seinem Platz und bei seinen Instrumenten blieb, rückten alle anderen so nah wie möglich an die Backbordseite. Von dort aus konnten sie hinaus und auf den ersten Zylinder in der Reihe schauen. Er lag direkt unter der Rumpfkante des Gleiters. Der wie Glas wirkende Streifen, der die Mittelachse des Artefakts entlang nach unten lief, war vollkommen durchsichtig. Die drei Forscher konnten durch diesen hindurch den Inhalt des Zylinders deutlich sehen. Auf diese Weise wurde ihnen unmittelbar und unerwartet die Antwort auf die zentrale Frage zuteil, die die Exoarchäologen geplagt hatte, seit sie damit begonnen hatten, die Wildnis von Comagrave zu erforschen.
Was war mit den Sauun geschehen?
Sie waren nicht Opfer ihrer Einsamkeit geworden, weil sie bei dem Schritt ins Raumfahrtzeitalter gescheitert waren. Sie waren nicht an artbedingter Melancholie zu Grunde gegangen. Sie hatten sich nicht in einem heimlichen, nicht erklärten Krieg gegenseitig ausgelöscht, für dessen Stattfinden bisher keine Hinweise hatten gefunden werden können. Sie waren immer noch da.
Cullen erinnerte sich endlich wieder daran zu atmen. »Nächster Zylinder!«, befahl er Dik. »Wir müssen bestätigen, dass es dort so ist wie hier!«
»Okay, aber das wird nicht ganz einfach! Wir haben hier nicht allzu viel Spielraum!« Während Dik die Steuerung neu justierte und sich der Gleiter wieder in Bewegung setzte, deutete der Pilot auf die pulsierenden Gloriolen, die unmittelbar über jedem Zylinder zu schweben schienen. »Da fluktuiert höllisch viel Energie, und ich würde lieber nicht mit diesen Filamenten da in Berührung kommen - oder was immer das ist, auch wenn sich ein nicht leitender Rumpf um uns befindet.«
»Wir müssen nur einfach noch in ein paar andere hineinschauen«, erklärte Cullen ihm. »Dann, glaube ich, können wir ein paar vorläufige Hypothesen aufstellen.«
Jeder Zylinder - oder jeder Kokon - enthielt einen einzelnen Sauun. Man konnte sie als Angehörige dieses Volkes sofort erkennen, weil ihre Züge den drei von heiligem Schrecken ergriffenen Exoarchäologen bestens vertraut waren - vertraut durch die in Stein gehauenen Gesichter der Klagenden, für jedermann sofort zu sehen, wenn er den Blick vom Rand des Steilhangs aus über das große Tal schweifen ließ. Hier waren ihre lebenden Abbilder, bewegungslos in irgendeiner Art von Tiefschlaf gefangen. Die gleiche schlanke Gestalt, der gleiche kummervolle Gesichtsausdruck, die vertrauten schmalen Gesichter, die aus einer ganzen Bergseite herausgemeißelt worden waren - all das ließ sich in einer Vielzahl individuell geprägter Abwandlungen in den zylinderförmigen Kokons wiederfinden. In Abermillionen von Kokons. Pilwondepat hatte sich mitzuzählen bemüht, zu multiplizieren und zu schätzen - und hatte schnell aufgegeben. Ohne Kenntnis der genauen Ausmaße der Kammer konnte jede Schätzung der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Wie viele Sauun hatten an diesem Ort Ruhe gesucht? Ein Viertel der planetenweiten Bevölkerung? Die Hälfte? Alle?
»Das erklärt, warum sie nie in den Weltraum vorgestoßen sind.« Holoness blickte direkt in ein würdevolles, ruhiges, aber ganz und gar fremdartiges Gesicht, genau unter der Exoarchäologin eingeschlossen in eine dieser transparenten Hüllen. »Sie hatten viel zu viel damit zu tun, diese Hochebene auszubauen. Das muss sie die gesamte Energie und Leistungsfähigkeit ihrer Zivilisation gekostet haben! Aber warum nur?«
»Irgendeine Art von Gel.« Cullen schien sie nicht gehört zu haben. »Möglicherweise hoch mit Sauerstoff angereichert. Temperatur und stark reduzierter Nährstoffspiegel werden von dieser ganzen Maschinerie hier aufrechterhalten, die wiederum in der Lage ist, sich selbst zu regenerieren.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Unglaublich, einfach unglaublich!« Er schloss einen Moment die Augen, dann erst gelang ihm eine verspätete Antwort auf Holoness’ Frage. »Ja, warum nur? Vielleicht zogen sie sich hierher zurück, um einer unheilbaren Seuche, die auf der Oberfläche grassierte, zu entgehen. Oder vielleicht war dies einst eine Welt mit weitaus feuchterem Klima. Ein langfristiger planetenweiter Klimawechsel könnte eine Hungerkatastrophe heraufbeschworen haben.« Er deutete auf die Reihen und Reihen von Kokons und deren träumende Bewohner. »Jeden in Stasis fallen lassen, entsprechende Hardware programmieren, jeden wieder aufzuwecken, wenn der Regen zurückkehrt, und schlafen, bis der Planet wieder bereit für
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