Das Dornenhaus
zu ihm auf und erkannte, dass in dem Blick, den sie wechselten, mehr als Freundschaft lag. Sie wurde plötzlich von dem Verlangen überwältigt, alles über ihn zu wissen, jetzt, wo nur noch so wenig Zeit blieb – was er dachte, was er mochte und nicht mochte, wovon er träumte und was er plante. Sie hatte in dem großen Haus ein behütetes Leben geführt, und Ben und sie hatten sich gerade erst als Erwachsene wahrgenommen, waren nicht mehr die Kinder, die zusammen auf dem Grundstück spielten. Der Krieg hatte sie einander näher gebracht, hatte Klassenschranken aufgehoben, die sie vorher vielleicht getrennt hätten. Kate betrachtete Ben als Teil der Familie von Zanana. Es schien unvorstellbar, dass er fortging – in den Krieg.
Als sie Ben das nächste Mal sah, wirkte er wie ein Fremder. Stolz präsentierte er sich in seiner Uniform an der Eingangstür von Zanana, um Lebewohl zu sagen. Sid und Nettie Johnson warteten im Einspänner, sie wollten ihn zum Bahnhof bringen.
Kate kam langsam auf ihn zu und schaute sich Ben in der groben, schlecht sitzenden Khakiuniform an. Das gegürtete Uniformhemd hing locker an seinem schlanken Körper. Unbeholfen löste Ben den Riemen seines Schlapphuts und nahm ihn ab. Sein Haar fiel ihm in die Stirn, und Kate musste dem Drang widerstehen, es ihm zurückzustreichen.
Mrs. Butterworth umarmte ihn unter Tränen. »Wenn du da drüben meinen Harold siehst … oder Wally … grüß sie von uns und sag ihnen, wir kommen gut zurecht.«
»Das werde ich tun. Und Sie haben ein Auge auf meine Eltern, ja? Danke für alles, Mrs. B.«
»Du brauchst dich nicht zu bedanken, Junge. Wir alle sollten solchen Männern wie dir danken. Gott schütze dich.«
Ben wandte seine Aufmerksamkeit Kate zu. »Das wär’s dann also. Ich muss fort. Zuerst ins Ausbildungslager, und in zwei Monaten stechen wir in See.«
Kate nickte.
»Eine große Reise für einen Burschen, der kaum aus Zanana rausgekommen ist«, grinste Ben. »Du wirst dein Versprechen nicht vergessen?«
Kate fand ihre Stimme wieder. »Nein. Ich werde dir schreiben, Ben. Komm gesund zurück.«
Ben ergriff ihre weiche kleine Hand und hielt sie kurz fest. Sein Kopf näherte sich für einen Moment ihrem herzförmigen Gesicht, doch dann richtete er sich auf, nahm die Schultern zurück und schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. Er setzte den Hut auf und wandte sich ab.
»Mach dir keine Sorgen um deine Mutter und deinen Vater. Ich bleibe hier bei ihnen«, rief Kate ihm nach.
Er schaute über die Schulter zurück und nickte ihr dankbar zu. Ihr Herz machte einen Ruck, als sie die Traurigkeit in seinem Gesicht sah, er kämpfte mit den Tränen.
Kate lief nach drinnen und wartete nicht, bis der Einspänner mit der Familie abfuhr, die bereit war, ihr einziges Kind für den Kampf in einem Krieg herzugeben, der auf der anderen Seite der Welt stattfand. Die andere Seite der Welt war ein Alptraumgelände, das sich in das Gedächtnis der Männer einbrannte, die es nie wieder vergessen würden.
Schwarzer, stinkender Rauch hing über den Ruinen eines kleinen französischen Dorfes, durch das Armeelaster voller Australier in Richtung Front fuhren. Die einst friedliche Landstraße war verstopft. Die Laster, auf denen jeweils zwanzig Soldaten saßen, mussten langsam am Rand der Straße fahren, vorbei an dem traurigen Strom der Dorfbewohner, die ihre Höfe und Häuser verließen. Sie ließen halb gegessene Mahlzeiten auf den Tischen stehen, ließen Geflügel und Kaninchen unbewacht auf den Höfen zurück, die Türen weit offen. Die wenigen Dinge, die sie hastig zusammengeklaubt hatten, waren auf Fahrräder geschnürt oder in Karren gepackt. Ein junger Mann schob eine Schubkarre, auf der sein alter Vater saß.
Harold und Wally warfen sich einen Blick zu. »Furchtbar, was, Wally?«
Es wurde schon dunkel, und die Männer fragten sich, wo sie wohl ein paar Stunden Schlaf ergattern und Marschverpflegung fassen könnten, bevor sie sich der deutschen Vorhut stellten.
Inzwischen ratterten die Laster durch schmale Kopfsteinpflasterstraßen, die zum Marktplatz des Dorfes führten. Kleine Häuser säumten die Straße, und immer noch waren Familien damit beschäftigt, ihre Habe durch enge Eingänge nach draußen zu schleppen.
Die Soldaten winkten ihnen freundlich zu, und ein Mann, der ein bisschen Englisch sprach, rief den Männern auf Wallys und Harolds Laster zu: »Was seid ihr für Soldaten? Wo kommt ihr her?«
»Wir sind Aussies, Kumpel«, rief Wally
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