Das Dornenhaus
Granattrichter. Als sie im Schlamm landeten, schrie Stan vor Schmerz auf. Ein weiterer Schrei brach hervor, gefolgt von mühsamen Atemzügen. Ben sah dem Mann in das aschfahle Gesicht.
»Bereit für einen weiteren Sprint, Kumpel?«
»Ja. Wird schon gehen, Ben.«
Sie erhoben sich und stolperten auf die Gräben der Alliierten zu, und wieder schossen die deutschen Scharfschützen sich auf sie ein. Inzwischen lugten ängstliche Gesichter über den Rand der Gräben und riefen ihnen Ermutigungen zu. Einige der Männer schossen auf die deutschen Linien, in der Hoffnung, die Deutschen in Schach zu halten, während Ben seinen heroischen, stolpernden Lauf fortsetzte und den verwundeten Stan halb zog und halb trug.
Ben nahm die Stimmen wahr, nicht aber, dass Hector aufgesprungen war und in wilden Sätzen hinter ihm herjagte, ohne auf irgendetwas zu achten. Er rannte stur geradeaus, blindlings hinter Ben und dem Verwundeten her.
»Ihr seid fast da, nur noch ein Stück, weiter, weiter«, rief eine Stimme aus dem Graben, als Ben in die Knie sank. Er kroch jetzt und zog den ohnmächtigen Stan mit sich, aus dessen Bein das Blut schoss.
Hector erreichte sie, als sie sich den Gräben näherten und willige Hände sich ihnen entgegenstreckten, um sie herüberzuziehen. Ben hob den bewusstlosen Soldaten im gleichen Moment über die Brustwehr, in dem Hector in Sicherheit sprang. Ben erhob sich, um hinüberzuhechten, spürte aber plötzlich nichts mehr als einen brennenden Schmerz. Dann wurde alles um ihn schwarz.
Er kam in einem überdachten Unterstand zu sich, in dem noch andere Verwundete lagen. Ben dachte, er müsse sich im Delirium befinden, denn als sich sein Blick klärte, sah er das besorgte Gesicht von Harold Butterworth vor sich.
»Immer mit der Ruhe, Ben. Du bist getroffen worden, aber es ist nicht viel passiert. Nur eine Fleischwunde. Hat dich aber glatt umgehauen.«
Ben brachte mühsam hervor: »Wo kommen Sie denn her?«
»Sechsundfünfzigstes Bataillon. Ein Stück weiter vorne. Hab deinen verrückten Lauf gesehen, und als ich hörte, dass du es bist, bekam ich Erlaubnis, dich zu besuchen.«
»Wie geht’s dem anderen Burschen?«
»Nicht so gut, aber er wird’s schon machen, meint der Doktor.«
»Hector?«
»Dem ist überhaupt nichts passiert. Keine Ahnung, warum der nicht schon letzte Nacht reingekommen ist. Dein verwundeter Kamerad sagt, er hätte Hector mit in den Trichter gezogen; er lag einfach auf der Erde. Hatte aufgegeben.«
»Muss wohl unter Schock gestanden haben, nehme ich an.«
»Inzwischen ist er wieder bei seiner Einheit. Die halten Hector für einen Helden. Sie denken, er hätte zwei Verwundete gerettet – dich und den anderen Jungen. Ich werd ihnen schon sagen, wie’s wirklich war.«
»Ach, vergessen Sie’s, Harold«, sagte Ben mit müder Stimme.
»He, Ben, pass gut auf dein Souvenir auf. Sieh dir das an.« Grinsend reichte Harold ihm seinen Helm. Eine Kugel war durch den Helm geschlagen und hatte ihn aufgerissen, sie hatte Bens Kopf um Haaresbreite verfehlt, ihn aber bewusstlos gemacht.
Ben schnappte nach Luft. »Großer Gott.« Er streckte die Hand aus, berührte seinen verbundenen Kopf und zuckte vor Schmerz zusammen, als er merkte, dass er eine Kugel in die Schulter bekommen hatte. »Was für ein Glück, dass ich so einen Dickschädel habe, was?«
Harold lachte leise und legte dem Jungen die Hand auf den Arm. »Wir sind alle stolz auf dich, Ben. Ich muss zu meiner Einheit zurück. Nimm’s mit der Ruhe. Mach so was Verrücktes nicht zu oft. Sonst könnten sie noch auf dich aufmerksam werden.«
Ben grinste und hob salutierend die Hand, und Harold eilte durch den Graben davon, der den Namen ›Martin Place‹ trug.
Später wurde Verpflegung ausgegeben, zusammen mit der Post aus Australien. Harold saß in seinem kleinen Erdloch und las seine Briefe zum wiederholten Male durch. Langsam entfaltete er das Bild, das Kate vom Garten in Zanana gemalt hatte. Bewegungslos saß er da, nahm das Elend um sich herum nicht mehr wahr und ließ die Augen über jeden Pinselstrich, jede zarte Schattierung der Farben gleiten. Das kleine Bild durchdrang die Mauer, die er um seine Gefühle aufgebaut hatte, und Tränen brannten ihm in den Augen. Er konnte die Rosen riechen, die sanfte Brise auf seinen Wangen spüren, Kate und Gladys in der Küche plaudern hören und den Fluss gemächlich an der großen Villa und dem Grundstück vorbeigleiten sehen.
In den folgenden achtundvierzig Stunden nahmen Wally und
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